Bericht vom 38. Prozesstag – 23.03.22

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Bericht vom 38. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 23.03.22

An diesem Prozesstag ging es um die Zeug:innenvernehmung von drei Beamten aus der JVA Castrop-Rauxel zur Innenraumüberwachung (des Autos eines Angeklagten). Da der JVA-Beamte Hackbarth wegen Corona verhindert war, wurden nur der Vollzugsbeamte Rubert und die Bereichsleiterin Rüping vernommen. Zudem wurde die Vernehmung des Soko-LinX-Ermittlers KK Johannes Junghanß fortgesetzt.

Zu Beginn wurde auf einen Antrag der Verteidigung vom 16.03.2021 eingegangen und Teile der Anlagen verlesen, in denen es um ein Gespräch vom 18.10.19 eines Angeklagten ging, welches überwacht wurde und den Angeklagten für den Tatkomplex Eisenach I entlastet. Da dies bereits vor Beginn des Verfahrens der Bundesanwaltschaft (BAW), namentlich der Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn, bekannt war, stellte der Vorsitzende in den Raum, dass die Verteidiger:innen dieses Alibi übersehen hätten. Nachdem die Verteidigung sich empörte und darauf aufmerksam machte, dass der Vorsitzende sich erneut schützend vor die Bundesanwaltschaft stellte, räumte dieser ein, dass dann wohl beide Seiten das Alibi übersehen hätten und erklärte dies mit dem Umfang der Akten. Die Verteidigung stellte klar, dass es Hauptaufgabe der Bundesanwaltschaft ist, Tatvorwürfe bei gesicherten Alibis nicht zu erheben und diese schließlich die Datenbank anfertigen ließ und merkte die Möglichkeit der Befangenheit des Vorsitzenden an.

Danach begann die Befragung des ersten Zeugen, dem JVA Beamten Rubert. Dieser gab an, zur Zeit der Inhaftierung eines im hiesigen Verfahren Beschuldigten sein Hauptbetreuer gewesen zu sein. Als der Vorsitzende ihn nach einer Beschreibung des Beschuldigten fragte, beschrieb Rubert den Gefangenen auf verschiedene Weise, die des öfteren seinen Ausführungen in der polizeilichen Vernehmung, vor allem aber die eher negativ Wirkende Beschreibung seines Kollegen, widersprach.

Als der Vorsitzende weitere Fragen mit Inhalt aus einer anderen Vernehmung stellte, warf die Verteidigung dem Vorsitzenden vor, Suggestivfragen zu stellen und die Antwort so bereits vorzugeben. Außerdem beanstandete die Verteidigung die Feststellung der Charakterzüge, da es ausschließlich um die Stimmerkennung ging. Der Vorsitzende bestritt dies und wies den Vorwurf zurück, woraufhin die Verteidigung einen Gerichtsbeschluss beantragte. Die Generalbundesanwaltschaft pflichtete dem Vorsitzenden bei, dass die Beschreibung der Charaktereinschätzung des Beschuldigten der Zuverlässigkeit des Zeugen diene. Danach wies der Senat die Beanstandung zurück. Als die Verteidigung kurze Zeit später wieder die Suggestivfragen des Vorsitzenden beanstandete, wies der Vorsitzende dies sichtlich genervt erneut zurück und nach Beantragung eines Gerichtsbeschluss wies auch der Senat erneut den Vorwurf zurück.

Anschließend wollte die Bundesanwaltschaft, dass der Zeuge Rubert das Merkmal „besserwisserisch“ konkretisiere. Daraufhin beschrieb er, dass der Beschuldigte öfter so wirkte, als wäre er vollumfänglich informiert. Als die Verteidigung fragte, ob er es möglicherweise tatsächlich besser wusste, räumte Rubert ein, dass dies möglich sei.

Danach sollte Rubert erneut die Tonbandaufnahmen aus der Innenraumüberwachung des Autos eines Angeklagten anhören, wobei die Verteidigung der Verwertung der Tonbandaufnahmen widersprach.

Nach einer Pause bis 11:25 Uhr beschrieb Rubert die Stimme des Beschuldigten als etwas höher und durch eine schnelle Sprechfrequenz gekennzeichnet. Rubert wurde bereits durch den LKA Beamten (SoKo LinX) Junghanß vernommen. Damals sagte Rubert aus, dass er mit 99%er Sicherheit sagen könne, dass es sich auf den Tonbandaufnahmen um den Beschuldigten handele und er die Stimme auf allen drei Bändern wiedererkenne.

Daraufhin stellte die Verteidigung Fragen zu dem Geschehen vor der Zeugenvernehmung durch Junghanß. Rubert sagte aus, dass der Termin zur Stimmidentifizierung (wohl) durch ein Schreiben vom LKA gekommen sei. Zuvor wurde die Anstaltsleitung von Junghanß gefragt, wer sich eine Identifizierung der Stimme des Beschuldigten zutraue. Rubert sei sich nicht sicher, ob es um eine bestimmte oder irgendeine Stimme ging.

Als die Verteidigung fragte, ob im Vorfeld bekannt war, dass es um die Stimme des Beschuldigten ging, gab Rubert zu, dass bekannt war, dass es in Richtung des Beschuldigten gehen würde. Außerdem sagte Rubert aus, dass die Vernehmung in der Privatwohnung des Kollegen Hackbarth stattgefunden habe, die Zeugen jedoch räumlich getrennt belehrt und befragt wurden.

Nach weiteren Fragen stellte der Vorsitzende klar, dass Junghanß in einer früheren Vernehmung ausgesagt habe, dass es um den Beschuldigten ging und dies auch bekannt gewesen sei.

Als der Vorsitzende die Verfügung erlassen wollte, 5 Tonbandaufnahmen aus der Innenraumüberwachung abspielen zu wollen, beanstandete die Verteidigung dies wegen Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung. Sie führte aus, dass die Grundsätze der Beweiserhebung „wie bei einer Gegenüberstellung“ nicht eingehalten wurden und die Stimmidentifizierung somit suggestiv ist. Diesen Vorwurf wies der Vorsitzende wieder einmal einfach zurück mit dem Verweis, dass der Beweiswert der Wiedererkennung stark gemindert sei. Es handele sich aber um eine Frage der Beweiswürdigung, welche der Beweiserhebung nicht im Weg stehe. Daraufhin beantragte die Verteidigung empört einen Gerichtsbeschluss. Auf Nachfrage der Verteidigung gab der Vorsitzende zu, dass die Stimmen nicht wissenschaftlich, sondern nach seinem Befinden ermittelt worden seien. Auch auf den Vorwurf der Verteidigung, dass Stimmen von im Verfahren gänzlich unbeteiligten Personen angehört werden sollten und dies unzulässig ist, wies das Gericht wieder zurück. Als das Abspielen der Innenraumüberwachung erfolgte, verließen alle Zuschauer:innen bis auf einen den Gerichtssaal, woraufhin die Verteidigung bemerkte, dass diese den Grundrechtsschutz der aufgezeichneten Personen ernster nehmen als der Senat.

Dem Zeugen wurden fünf Gespräche vorgespielt und er wurde anschließend dazu befragt. Hierbei gab er an, sich nicht an die Stimmen zu erinnern, sondern daran, dass er die Gespräche schon Mal gehört hätte.

Nach der Mittagspause wurde die Sitzung um 13:40 Uhr fortgesetzt. Noch bevor die geladene Zeugin den Saal betrat, widersprach die Verteidigung der Verwertung der abgehörten Gespräche aus der Innenraumüberwachung.

Die zweite Zeugin des Tages war Kathrin Rüping, 49, eine selbstgefällige leitende JVA-Angestellte in einem Knast, in dem einer der Beschuldigten zeitweise eingesessen hatte. Der Vorsitzende erklärte, dass es um diesen Beschuldigten ging und fragte, was sie mit ihm zu tun gehabt habe.

Sie erzählte erst mal allgemein, dass sie Bereichsleiterin in dem Hafthaus gewesen sei, in dem der Beschuldigte untergebracht war. Sie würde üblicherweise bei disziplinarischen Maßnahmen oder Maßnahmen, die mit vorzeitiger Haftentlassung zu tun hätten, in Kontakt mit den Gefangenen kommen. Sie wüsste nicht mehr, ob sie über die gesamte Zeit des Aufenthaltes des Beschuldigten für dessen Haus zuständig gewesen sei, da sie irgendwann den Betreuungsbereich gewechselt hätte. Sie hätte jedoch ihr Büro im Flur gegenüber von dem vorher gehörten Zeugen gehabt und da die Türen stets offen gestanden hätten, hätte sie viel mitbekommen.

Nach der Persönlichkeit des Beschuldigten befragt, gab sie an, er sei aus der Masse intellektuell hervorgestochen, sei diskussionsfreudig und provokant gewesen, hätte aber die Grenze des Disziplinarischen nicht überschritten. Thematisch sei es zum Beispiel um die Grenzen des Vollzugs gegangen. Außer dem dienstlich Notwendigen hätte Sie mit ihm nur Smalltalk geführt. Auf die Frage inwieweit Hackbart auch Kontakt zu dem Beschuldigten gehabt hätte, antwortete sie, dass Hackbart und Rubert verschiedenen Gefangenen als Betreuer zugeordnet seien, beide hätten unterschiedliche Gruppen, da jedoch im Schichtsystem gearbeitet würde, hätte jeder Betreuer mit allen Inhaftierten Kontakt.

Der Beschuldigte hätte an vollzugsöffnenden Maßnahmen teilgenommen, einem Studium, was ungewöhnlich sei, hätte davon aber nichts erzählt.

Weitere Fragen, speziell zu medizinischen Behandlungen des Inhaftierten, wurden durch die Verteidigung beanstandet, da die Gefangenen dazu gezwungen seien, sich den Bediensteten der JVA mitzuteilen und mit dem Erfragen der gesundheitlichen Situation der Gefangenen das Recht auf das Arztgeheimnis unterlaufen werde. Die Beanstandung wurde durch den Richter zurückgewiesen.

Anschließend fragte der Vorsitzende, ob die Stimme des Beschuldigten markant gewesen sei. Die Zeugin antwortete allgemein, dass man wohl Stimmen, die man öfter höre, wiedererkennen würde. Auf die Frage, woran sie seine Stimme erkennen würde, meinte sie, es sei die häufige Frequenz und er würde schnell und viel reden.

Nun ging es um die Umstände der Vernehmung zum Zweck der Stimmidentifizierung. Die Zeugin hätte einen Termin mit der Anstalt vereinbart und der Termin hätte in der Anstalt stattgefunden. Es sei ihr vorher nicht gesagt worden, worum es gehen sollte. Die anderen beiden Zeugen hätten zu der Zeit keinen Dienst gehabt. Es seien zwei Personen gekommen, um die Zeugin zu vernehmen. Vor dem Anhören der Tonbandaufnahmen wusste sie bereits, dass es um den Beschuldigten gehen sollte. Es seien zwei oder drei Tonbandaufnahmen gewesen und sie hätte die Stimme des Beschuldigten auf allen Tonbandaufnahmen erkannt. Woran sie das damals festgemacht hätte, könnte sie nun nicht in Worte fassen. Sie sei sich damals aber „überraschenderweise sicher“ gewesen. Es wären auch andere Leute auf der Aufnahme zu hören gewesen, wie viele, wüsste sie nun nicht mehr.

Nach dem Grad der Sicherheit fragend, hielt der Vorsitzende ihr aus dem Vernehmungsprotokoll vor, sie hätte damals gesagt „zu 80% sicher“. RA Werner beanstandete die Frage als suggestiv, worauf der Vorsitzende ihn bat, selber die Frage zu stellen. Werner fragte daher wie sicher sich die Zeugin gewesen sei, worauf sie antwortete sehr sicher. Auf die Frage nach dem Quotienten für mögliche Zweifel an der Sicherheit gab die Zeugin 20% an. Die Fehlerquote sei jedoch vernunftgemäß, da es so lange her sei.

Staatsanwältin Geilhorn fragte noch, ob sie auch selber mit dem Beschuldigten diskutiert hätte, wenn er anderer Meinung gewesen wäre. Dies bejahte die Zeugin.

Befragung durch die Verteidigung

RAin Belter führte die Befragung fort. Mit dem vernehmenden Beamten hätte es nur Vorgespräche über die Tätigkeit der Zeugin in der JVA gegeben. Sie hätte von der Vernehmung erwartet, dass sie die ihr gestellten Fragen beantworten würde. Sie hätte eine Aussagegenehmigung gehabt, in der es um zehn Beschuldigte in einem Verfahren der Bundesanwaltschaft gegangen wäre, hätte aber nicht nachgefragt, worum es gehen sollte. Sie wäre zu Beginn der Vernehmung zwar belehrt worden, sei jedoch nicht gefragt worden, ob sie mit den Beschuldigten verwandt oder verschwägert sei.

Die Verteidigung fragte die Zeugin nach Dialekt, worauf die Zeugin antwortete, dass sie den nicht zuordnen könnte. Das schnelle Sprechen und der Gesamteindruck wären die benennbaren Merkmale, an eine konkrete Situation oder ein bestimmtes Gespräch könnte sie sich jedoch nicht erinnern.

Weiter wurde danach gefragt, wie in den Vorgesprächen die Überschneidung mit dem Beschuldigten hergestellt worden wäre und ob ihr etwas über ihn erzählt worden wäre. Woraufhin die Zeugin darauf verwies, dass die Überschneidung nur beruflich gewesen wäre. Sie hätte von den beiden Kollegen gewusst, dass auch sie vernommen werden sollten. Diese, so glaubte die Zeugin nun, hätten ihre Vernehmung vor ihr gehabt, und sie hätten sich kurz darüber ausgetauscht. Auf die Frage, ob die Zeugin sich vorher Unterlagen zu dem Beschuldigten angeschaut hätte, antwortete sie nicht.

Auf die Frage, ob sie ein Bild von dem Beschuldigten hätte, bejahte die Zeugin. Auf der Straße wiedererkennen würde sie ihn jedoch nur vielleicht. Sie hätte auch keine Ahnung, warum die Vernehmung der beiden Kollegen woanders stattgefunden hätte. Auf die Frage, ob sie vorher gewusst hätte, worum es bei der Vernehmung gehen sollte, antwortete der Vorsitzende, dass sie darauf bereits geantwortet habe, dass sie vorher nichts gewusst hätte. Sie selbst sagte, dass sie sich vor ihrer Vernehmung nicht mit den Kollegen darüber unterhalten hätte, im Anschluss aber schon.

RA Nießing begann seine Befragung mit einem Hinweis an den vorsitzenden Richter: Dieser hätte der Zeugin aus ihrer Vernehmung vorgehalten, die Sicherheit, mit der sie die Stimme identifiziert hätte, hätte bei 80% gelegen anstatt den Sicherheitsgrad in einer offenen Frage zu ergründen. Er wiederholte, dass die Zeugin vorhin gesagt hätte, dass sie vor der Vernehmung nicht gewusst hätte, worum es gehen sollte. Die Frage, ob sie diese Unkenntnis den Beamten signalisiert hätte, verneinte sie. Sie hätte vorher gewusst, um wen aber nicht worum es geht. Dies widerspricht der zuvor getätigten Aussage, sie hätte erst von den Beamten erfahren, dass es um den Beschuldigten gehen sollte. Sie hätte die Beamten aber nicht gefragt worum es gehen solle, vor dem Anhören der Tonbandaufnahmen hätte sie bereits gewusst, wessen Stimme sie darauf erkennen sollte.

Daraufhin wurde die Zeugin hinausgeschickt und die Verteidigung widersprach in einem ähnlichen Antrag wie beim letzten Zeugen der Verwertung der Stimmidentifizierung durch die Zeugin (fehlen der ähnlichen Vergleichsstimmen, das Vorgehen sei suggestiv, durch das öffentliche Abspielen würden Persönlichkeitsrechte nicht Verfahrensbeteiligter verletzt, das Verfahren der Identifizierung erfolge im Widerspruch zur RiStBV Nr. 18). Weiterhin hätte der Zeuge zuvor beim Abspielen auf Signalwörter reagiert, die ihm eine Erkennung ermöglicht hätten, nicht auf die abgespielte Stimme. Dies habe der Zeuge bestätigt, als er auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob er dies schon einmal gehört habe, erwidert habe, ja er habe das schon Mal gehört.

Diesen Antrag wies der Vorsitzende ebenfalls zurück. Es sei „denknotwendig“, dass Unbeteiligte im Rahmen der Überwachung von Innenräumen mit aufgenommen würden. Hier ist beachtlich, dass den Vorsitzenden das Abhören Unbeteiligter nicht weiter beunruhigt, obgleich es sich hierbei um einen großen Grundrechtseingriff handelt. Der Vorsitzende war der Meinung, es würden keine persönlichen Dinge besprochen, die Definition dessen, was er für „persönlich“ halte, gab er jedoch nicht und es wurde angemerkt, dass Aufnahmen des nicht öffentlich gesprochenen Worten eigentlich immer persönlicher Natur sind. Nachdem die Verteidigung einen Gerichtsbeschluss zu dieser Ablehnung forderte, zog sich der Senat zur Beratung zurück und es folgte eine kurze Pause.

Nach der Pause verkündete der Vorsitzende den Gerichtsbeschluss: Die Beanstandung werde zurückgewiesen und die Zeugin solle wieder reinkommen. Daraufhin verließen alle solidarischen Besucherinnen den Saal.

Mit dem Abhören der Mitschnitte endete die Befragung der Zeugin Rütling und der nächste Zeuge, Kriminalkommissar Johannes Junghanß von der Soko LinX betrat den Saal. Dieser war vorher bereits vier Mal gehört worden:

Zuerst befragte RA Nießing den Zeugen, häufig unterbrochen durch den Vorsitzenden. Hierbei ging es um die Frage, warum der Zeuge selber zu den Vernehmungen gefahren wäre, anstatt diese über die Anstaltsleitung vor Ort zu organisieren. Der Zeuge hatte in einer früheren Vernehmung angegeben, dies sei Taktik gewesen. Nießing fragte hierzu, warum es nicht so gemacht wurde, worauf der Zeuge antwortete, dass das damals nicht erkannt worden sei und er nun nicht mehr wisse warum, er hätte es nicht in Erwägung gezogen. Auf die Frage, welche Taktik es gewesen wäre, selber zu fahren, antwortet der Zeuge, dies sei keine Taktik, sondern eine einfache Durchführung gewesen, wie sie jetzt auf dem Papier nachzulesen sei.

Als nächstes ging es um einen anderen Sachverhalt: Der Zeuge hatte einen Angeklagten vor einigen Wochen zur Vernehmung vorgeladen aufgrund eines Verkehrsschildes, welches bei der Hausdurchsuchung vor ca. eineinhalb Jahren bei diesem Beschuldigten gefunden worden war. Der Zeuge gab an, den Angeklagten vorgeladen zu haben, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich zu der Sache zu äußern. Die Vorladung sei mit dem Ermittlungsführer des Verfahrens, KOK Michael Baum von der Soko LinX, abgesprochen worden. Da der Vorsitzende einige Fragen des Verteidigers zu dieser Sache nicht zulassen wollte, wurde der Zeuge hinausgeschickt und es kam zu einer Diskussion, in der Nießing erklärte, dass er den Verdacht hätte, dass Junghanß den Zeugen vorgeladen hätte, um sich bei der Vernehmung dessen Stimme anzuhören, zumal die Vernehmung zwei Tage vor dem heutigen Prozesstermin hätte stattfinden sollen. Der Vorsitzende fand die Vorstellung kurios, Junghanß sei dumm, wenn er so etwas geplant hätte, worauf die Verteidigung erklärte, dass es dem Vorsitzenden dennoch gut gepasst hätte, er es gar „mit Kusshand entgegen genommen hätte“, falls Junghanß infolge dieser Vernehmung die Stimme des Angeklagten sicher erkannt hätte. In der unübersichtlichen Gesprächssituation meinte RA Mucha, dass es seltsam wäre, dass die Vorladung gerade jetzt käme, da die Durchsuchung bereits 2020 durchgeführt worden sei. Weitere Verteidiger:innen fügten hinzu, dass dies üblich für die Soko LinX sei, die Ermittlungen zu verschieben und die Aktenteile zu verzögern, dies erschwere die Arbeit der Verteidigung.

Der Zeuge betrat den Saal wieder und die Verteidigung konnte die Befragung fortsetzen. Er wisse nicht mehr, warum er den drei Mitarbeiter:innen der JVA schon vor Anhören der abgehörten Gespräche mitgeteilt hätte, um wen es sich auf den Aufnahmen handeln solle. Nun ging es wieder um die Ladung zur Beschuldigtenvernehmung. Der Zeuge gab auf Nachfragen an, dass die Ladung vor ca. 3 Wochen erfolgt sei, die geplante Vernehmung vor zwei Tagen hätte durchgeführt werden sollen, dass es seine eigene Idee gewesen sei und der Termin durch Ladungsfristen von ca. zwei Wochen zustande gekommen wäre. Er hätte nicht mit KOK Michael Baum über den Termin geredet. Er wüsste, dass er aus einem anderen Verfahren hier nichts verwenden dürfe und er wollte das nicht zum Vorteil der Polizei nutzen. Die Verteidigung wies ihn jedoch darauf hin, dass er dies bereits gemacht hätte, bei der Stimmverwertung bei den Innenaufnahmen aus dem Auto, welche auch aus einem anderen Verfahren stammten. Hierauf sagte der Zeuge nichts mehr. Er sei selber in Absprache mit KOK Michael Baum auf die Idee gekommen, den Zeugen zu laden.

Die Frage, was der Zeuge mit Baum besprochen habe, als der Zeuge ihm den Vorschlag unterbreitet hatte, den Angeklagten zu dem Verdacht auf den Diebstahl des Verkehrsschildes zu laden, beanstandete der Richter als offensichtlich nicht zur Sache gehörig. Die auch nur theoretische Bedeutung von Gesprächen bei den Ermittlungsbehörden zu anderen Strafverfahren wäre für das hiesige Verfahren nicht erkennbar. Die Verteidigung forderte hierzu einen Gerichtsbeschluss und der Senat und der Zeuge verließen den Saal. Nach einer kurzen Pause kehrte der Senat zurück und der Vorsitzende gab den Beschluss bekannt, dass die Frage zu Recht beanstandet worden wäre, da der Zeuge bereits gesagt hätte, dass er den Angeklagten vor drei Wochen nicht zum Zweck der Stimmerkennung geladen hätte. Damit seien weitere Fragen zu diesem Verfahren überflüssig.

RAin Belter wies darauf hin, dass die Soko LinX nicht für Verkehrszeichen zuständig sei und weitere Verteidiger:innen ergänzten, dass das hier verhandelte Verfahren der Bezug dazu sei, warum sich die Soko LinX doch um Verkehrszeichen kümmere, ein Zusammenhang der beiden Verfahren daher offensichtlich bestehe. Der Vorsitzende wiederholte, dass er die Frage nicht zulassen werde. Die Verteidigung stellte daraufhin trocken fest, dass die Vorfahrt klar rechts vor links ist.

Einer der Verteidiger gab vor, dem Vorsitzenden beizuspringen, da diese Fragen die Ermittlungsarbeit der Polizei ja in Gänze infrage stellen würden und das würde bedeuten, dass das Gericht die Exekutive an irgendeiner Stelle kontrollieren würde, zudem finde er auch, dass es völlig undenkbar sei, Erkenntnisse aus anderen Verfahren hier zu verhandeln. Die Bundesanwaltschaft musste nun den Vorsitzenden darüber aufklären, dass dies ironisch gemeint gewesen sei, woraufhin Schlüter-Staats etwas enttäuscht anmerkte, dass er wirklich dachte, der Verteidiger hätte ihn unterstützt.

Anmerkung: Hierzu muss gesagt werden, dass einige Tatvorwürfe im hiesigen Verfahren ausschließlich auf Interpretationen von sogenannten Erkenntnissen aus einem anderen Verfahren basieren.

Der Zeuge kam wieder in den Saal. Die Frage des Verteidigers, ob der Zeuge die Möglichkeit in Erwägung gezogen habe, die drei JVA Mitarbeiter:innen nicht zu Beginn des Verhörs zu informieren, um wen es geht, beantwortete der Vorsitzende mit einem Verweis auf eine frühere Aussage des Zeugen, in der Junghanß gesagt hätte, dass er bereits bei der Anstaltsleitung gefragt hätte, wer denn geeignet sei, den Beschuldigten zu identifizieren. Junghanß ergänzte nun, dass seine persönliche Meinung heute nicht mehr zähle. Auf die Frage, ob er durch dieses Vorgehen den Beweiswert erheblich gemindert hat, antwortete der Zeuge ausweichend, dass dies sein könnte. Die Frage nach der Begründung für den geminderten Beweiswert beanstandete der Vorsitzende, da es egal sei, was der Zeuge zum Beweiswert zu sagen hätte. Die Frage ob er befürchtet hätte, dass die drei Mitarbeiter:innen ohne seinen Hinweis den Beschuldigten nicht erkannt hätten, verneinte der Zeuge. Jedoch könne der Zeuge weder etwas zur Kontaktanbahnung zu den drei Zeug:innen sagen, noch zum Gespräch mit der Personalleitung. Die Verteidigung erinnerte ihn daran, dass er bei der letzten Vernehmung zugesagt hat, E-Mails oder Schreiben mit der Anstaltsleitung rauszusuchen und zur heutigen Vernehmung mitzubringen, dies könne er nicht liefern, war seine Antwort. Junghanß wurde weiter gefragt, ob seine Aussage hier vor dem Gericht im Nachhinein im LKA thematisiert worden wäre. Der Zeuge schwieg und berief sich auf seine beschränkte Aussagegenehmigung. Das Verkehrsschild sei bei der Hausdurchsuchung im November 2020 festgestellt worden. Auf alle anderen Fragen berief sich der Zeuge auf seine Aussagegenehmigung: Die Frage des Zusammenhangs zwischen diesem Verfahren und dem Verfahren wegen des Verkehrsschilds, die Frage warum er sich nicht zu diesem Zusammenhang äußere, die Frage nach der Anzahl der Beschuldigten in dem Verfahren mit dem Verkehrsschild, ob es in einer Einzelwohnung oder einer Wohngemeinschaft gefunden worden sei, sowie die Anzahl der Ermittlungsverfahren der Soko LinX zum Diebstahl von Verkehrsschildern.

Dem Zeugen sei allerdings klar gewesen, dass er nochmal kommen würde.

Da die Verteidigung sich die Aussagegenehmigung des Zeugen nochmal anschauen wollte, wurde die Sitzung für zehn Minuten unterbrochen. Anschließend beantragte die Verteidigung, dass das Gericht beim Vorgesetzten von Junghanß eine Aussagegenehmigung zu dem Verfahren mit dem Verkehrsschild einholen solle. Staatsanwältin Geilhorn sah keine Veranlassung, die Aussagegenehmigung zu erweitern, da das zweite Verfahren jenseits der Stimmidentifizierung liege und damit nichts zur Sache tue. Hierauf kommentierte die Verteidigung, dass der Zeuge eben angegeben habe, dass er zu diesem Zusammenhang aufgrund seiner Aussagegenehmigung nichts sagen könne.

Der Vorsitzende stellte fest, dass die Polizei bei Zufallsfunden die Möglichkeit hätte, ein Extraverfahren zu eröffnen und gegebenenfalls auch einzustellen. RAin Belter ergänzte, dass das Verfahren zum Zufallsfund dann an die zuständige Dienststelle übergeben werde. In diesem Verfahren gäbe es zwar unterschiedliche Vorgangsnummern, das Verfahren liege aber dennoch bei der Soko LinX, dies weise darauf hin, dass etwas komisch laufe.

Der Vorsitzende lehnte die erweiterte Aussagegenehmigung ab, er werde selber prüfen ob dies erforderlich sei und gegebenenfalls werde Junghanß noch einmal geladen. Den geforderten Gerichtsbeschluss des Senats erhielt der Vorsitzende durch intensive Beratung in Form von Nicken. Der Zeuge wurde unvereidigt entlassen.

Zum Ende des Prozesstages gab die Verteidigung Erklärungen zu der Zeugenvernehmung des Faschisten Leon Ringl an den letzten beiden Verhandlungstagen ab.

Es wurde noch einmal auf das Bild von Ringl und anderen Nazis vor einer Hakenkreuzfahne, welches im Januar 2022 geschossen wurde, verwiesen. Dies erkläre, dass Ringl ein starkes Belastungsinteresse gegen die Angeklagten habe. Dieses Belastungsinteresse hätte sich auch in seinen Aussagen widergespiegelt: So hatte Ringl in seinen ersten Vernehmungen nach den Angriffen im Oktober und November 2019 angegeben, dass es unwahrscheinlich sei, dass eine Frau an den Angriffen beteiligt gewesen sei, die Personen hätten nichts gesagt, er selber hätte gebrüllt. In der Befragung nun meinte er jedoch, eine Frauenstimme gehört zu haben, dies hätte er damals vergessen zu erwähnen oder es wäre nicht protokolliert worden. Weiterhin gab es auch schon zu Beginn der Ermittlungen Widersprüche zwischen seinen Aussagen: So gab er im Verhör am Tag nach einem der Überfälle an, am Abend vorher nichts zur Polizei gesagt zu haben (obgleich anderes protokolliert sei), in der Befragung letzte Woche gab er jedoch sehr wohl an, an dem Abend in der Vernehmung geredet zu haben. In dieser Vernehmung direkt nach dem Angriff war jedoch auch nicht von einer weiblichen Stimme die Rede.

In der Befragung letzte Woche gab er an, beim Angriff im Bull‘s Eye gehört zu haben, wie eine weibliche Stimme „zurück“ oder „Rückzug“ gerufen habe, beim Angriff vor seiner Wohnung hätte eine weibliche, jugendliche, dialektfreie Stimme gesagt „Zeig mal, dass du ein Messer hast, dann hören wir auf“. Nun will der Zeuge diese Stimme an nur einem Wort „zurück“ oder „Rückzug“ wiedererkannt haben, obgleich die Situation dort laut und tumultartig gewesen sei. Auch die Statur und das Auftreten der angeblich beteiligten Frau habe er bei dem Angriff vor seiner Wohnung wiedererkannt. Hierbei ist jedoch bemerkenswert, dass er laut eigener Aussage bei dem Angriff im Bull‘s Eye, weder die Beine noch den Kopf dieser Person habe sehen können, weiterhin wäre er in der tumultartigen Situation damit beschäftigt gewesen, sich zu verteidigen und Gläser zu werfen. Weiterhin hätte er einmal angegeben, die Angeklagte an Mimik und Gestik wiedererkannt zu haben, sie ab auf einer Wahlbildvorlage nicht erkannt.

Zusammenfassend erklärt, ändere sich das Aussageverhalten des Zeugen bei jeder Vernehmung. Der Zeuge sei daher unzuverlässig. Die anderen Verteidiger:innen schlossen sich der Erklärung an.

RAin Belter gab anschließend ebenfalls eine Erklärung zu Ringl ab. Hierbei ging es vor allem um die Situation des Angriffs vor seiner Wohnung. Laut einer seiner Vernehmungen wäre Ringl ausgestiegen und die anderen drei Faschisten wären weitergefahren. Dann hätten zwei Autos voll gebremst, die Leute wären ausgestiegen und hätten sich auf ihn und die drei anderen Faschisten zubewegt. In der Befragung letzte Woche hätte er angegeben, nicht gesehen zu haben, wie die Autos anhielten. Der Zeuge, so Belter, neige zu Halbwahrheiten und Lügen.

Beim Angriff auf das Bull‘s Eye hätte der Zeuge in einer Vernehmung angegeben, nichts mehr gesehen und sich nur noch mit seinem Gehör orientiert zu haben. In der Befragung letzte Woche hätte er demgegenüber jedoch angegeben, nur leichte Augenreizungen gehabt zu haben.

Weiterhin erinnere sich der Zeuge oftmals nur an seine eigenen Aussagen, nicht jedoch an die Ereignisse selbst. Belter führte außerdem aus, dass die Aussagen des Zeugen bei verschiedenen Vernehmungen darauf hindeuteten, dass er gewisse Erkenntnisse nicht aus der Einsicht in die Akten bei Kruppe erhalten habe sondern beim Austausch mit den anderen Zeugen. Auch dieser Erklärung schlossen sich die anderen Verteidiger:innen an.

Im Rahmen dieser beiden Erklärungen wurde auch die Ladung verschiedener Polizeibeamter (bei denen Aussagen gemacht wurden), mehrerer Expert:innen (zur Stimmerkennung, zur Erkennung von Mimik und Gestik, zur Plausibilität der Aussagen Ringls und weiterer) sowie die Verlesung einiger Schreiben zwischen Kruppe und der BAW bezüglich dessen Akteneinsicht beantragt.

RAin Weyers kündigte für den morgigen Verhandlungstag eine kurze Erklärung an. Der Prozesstag endete um 18:10.

Der nächste Prozesstag findet am 24.3.2022 um 09:30 Uhr am OLG Dresden statt.