Bericht vom 25. Prozesstag – 13.01.2022

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Am 25. Prozesstag am 13.1.2022 wurden drei Zeug*innen gehört: Der Vormieter der Wohnung eines der Angeklagten, seine Partnerin und der Kriminalkomissar Junghanß, der versuchte Fotos zweier Angeklagter zu sichten und der gleichen Wohnung zuzuordnen. Brisant war das potentielle Kennverhältnis zwischen Zeugen und Angeklagten und dass ersterer vormals im selben Verfahren als Beschuldigter geführt wurde. Außerdem wurden mehrere Anträge der Verteidigung gestellt unter anderem den persönlichen Brief, der bei einem Angeklagten gefunden wurde, sowie eine Stimmenidentifizierung durch KK Junghanß betreffend. Als Nebenklageanwälte waren nacheinander Kruppe, Kohlmann und Hannig anwesend. Der Vorsitzende verhielt sich zudem in herausragender Weise respektlos gegenüber einer Verteidigerin.

Der Prozesstag begann um 9:40 Uhr, wie immer im Gerichtssaal am Dresdner Hammerweg, mit der Vernehmung zweier Zeug*innen. Die erste Zeugin ist die Verlobte des zweiten Zeugen, beide wohnen inzwischen in einer gemeinsamen Wohnung. Beide sagen mit RA Engel als Zeugenbeistand aus. Bei der Befragung wird sie über die Dauer der Beziehung zum zweiten Zeugen, zum Mietverhältnis und der Höhe der Miete der gemeinsamen Wohnung befragt. Vor allem bestand Interesse an ihrer Kenntnis der früheren Wohnung ihres Verlobten. Die Zeugin konnte dazu nicht viel sagen. Sie wusste lediglich, dass er mal dort gewohnt hatte und kennt keinen der Angeklagten.

Als nächstes wurde der Vormieter einer Wohnung, die später von einem Angeklagten gemietet wurde vernommen. Gegen den den Zeugen wurde zu einem früheren Zeitpunkt im hiesigen Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Er kam mit RA Engel als Zeugenbeistand

Der Verteidiger RA Werner unterbricht die Belehrung durch den Richter gleich zu Beginn, mit der Frage ob der Zeugenbeistand Kenntnis davon hat, dass der Zeuge sich aufgrund einer Stimmidentifikation eines Tatverdächtigen im hiesigen Verfahren, belasten könnte wenn er spricht. Der Zeugenbeistand ist in Kenntnis über das im August 2021 eingestellte Verfahren nach §129 StGB und beantragt aufgrund dessen eine Beiordnung als Zeugenbeistand, was der Richter zunächst ablehnt.

Es folgte eine kurze Diskussion zwischen Verteidigung, GBA und Richter, ob eine Stimmidentifiaktion eindeutig zugeordnet oder ausgeschlossen werden konnte. Verteidigerin Belter unterstützte den Antrag auf Beiordnung des Zeugenbeistands und betonte explizit, dass sie aufgrund zweimaliger Ermittlungen gegen den Zeugen im Zusammenhang mit § 129-Verfahren davon ausgeht, dass für ihn ein vollumfängliches Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO greift. Der Zeuge machte allerdings keinen Gebrauch davon. Die vorher abgelehnte Beiordnung des RA Engel wurde nun doch genehmigt.
In der Zeugenbefragung durch den Richter ging es zunächst darum, wann der Zeuge aus seiner alten Wohnung ausgezogen ist und wie und wann die Übergabe der Wohnung an den Angeklagten verlaufen ist. Der Zeuge konnte sich an wenig erinnern. Er wurde gefragt wann er aus der Wohnung ausgezogen ist und gab hierfür einen ungefähren Zeitpunkt an, konnte sich jedoch auch nach Vorhalten an keine genaueren Zeitpunkte erinnern. Auch den Angeklagten kenne er kaum. Weitere Fragen betrafen eine Türsicherung, die nach seinen Aussagen bereits installiert war, als er dort wohnte und ob er mit einem weiteren Beschuldigten aus dem Verfahren bekannt ist. Der Zeuge nennt eine lose Bekanntschaft. Der Vorsitzende bezieht sich in seinen Fragen auf die Auswertung des beschlagnahmten Handys des Zeugen, in welchem unter anderem die Telefonnummern des Angeklagten und eines weiteren Beschuldigten gespeichert sind. Das Gericht sieht Indizien dafür, dass auch der besagte Beschuldigte in dieser Wohnung gewohnt hat, der Zeuge wusste allerdings nichts darüber.  Weiterhin wurde ihm ein Foto mit mehreren Personen gezeigt, mit der Frage ob er weiß wo dieses Bild aufgenommen wurde. Der Zeuge konnte den Ort nicht zuordnen.

Im Anschluss an die Befragung gab RAin Belter zusammen mit RA Werner eine Erklärung zum Inhalt des Briefes ab, um welchen es schon in den letzten Verhandlungstagen ging. Sie argumentierten, dass bereits die Beschlagnahme des Briefs bei einer Hausdurchsuchung ihres Mandanten nicht vom Gesetz gedeckt war. Der Inhalt des Briefs lässt sich nicht, wie vom vorsitzenden Richter vorgeschlagen, in persönliche und sachliche Teile separieren. Die Verwertung des Briefs, die bereits vom Gericht zugelassen wurde, verletzt das Persönlichkeitsrecht des Mandanten.

In dem Brief wird auf eine Gruppe Bezug genommen, von der das Gericht ausgeht, dass es die vorgeworfene kriminelle Vereinigung sei. In der Erklärung Belters wurde erläutert, dass mit dem Begriff „Gruppe“ verschiedenste Gruppen gemeint sein können und politische Organisierung unterschiedliche Formen annehmen kann. Weiterhin wird in dem Brief Mackertum und patriarchales Verhalten in der Gruppe thematisiert, was laut Belter der angeblichen Führungsrolle der Angeklagten widerspricht. Zudem werden in dem Brief mehrere Frauen benannt, welches ebenfalls der Vorstellung des Gerichts und der von Dirk Münsters Soko Linx widerspricht, dass die Angeklagte die einzige Frau sei.
Im Brief wird insbesondere eine dritte Person für patriarchales Verhalten hart angegriffen. Die Zuordnung des Gerichts – diese Person sei ein bestimmter Beschuldigter des Verfahrens – wird von Belter zurückgewiesen. Der vermeintlich Zugeordnete war, als der Brief verfasst wurde, im Gefängnis und kann daher nicht gemeint sein. Denn es sei in der linken Szene „unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass Kritik an Gefangen geäußert wird“. Außerdem wurde für eine Passage, etwas hätte „nichts mehr mit linksradikaler Politik zu tun“, eine weitere Möglichkeit der Interpretation aufgezeigt. Die Verfasserin könnte auch der Ansicht gewesen sein, bestimmtes Handeln sei nicht linksradikal genug. Auch die Tatsache, dass laut Brief von außen Kritik an „der Gruppe“ geäußert wird, spricht laut Belter gegen das Konstrukt einer klandestinen kriminellen Vereinigung, die hier gesucht wird.

Es folgte eine lange Mittagspause, 14:50 Uhr wurde die Verhandlung fortgesetzt..
RA Nießing stellte einen Antrag in dem er der Verwertung der Stimmidentifikation des Zeugen Junghanß aus einem Gespräch zwischen dem Angeklagten R. und seinem Anwalt widersprach:

KK Junghanß war bei der Hausdurchsuchung eines der Angeklagten anwesend und hat dort ein Gespräch des Angeklagten mit seinem Verteidiger Mucha mitgehört. Er will die Stimme, mit der aus einem Gespräch in einem PKW, welches durch eine Innenraumüberwachung als Beweismittel einging, identifiziert haben. Der Antrag von Nießing bezog sich vor allem auf ein Urteil des BGH, laut dem heimlich herbeigeführte Stimmidentifikationen ohne Zustimmung der Stimminhaber*innen nicht zulässig sind. Weiterhin seien zur Stimmerkennung auch mehrere Vergleichsstimmen zu hören, die in verschiedenen Stimmmerkmalen der zu erkennenden Stimme ähneln sollten (Stimmlage, Dialekt, …). Nießing argumentierte, dass die Fehleranfälligkeit der Wiedererkennung von Stimmen selbst bei bekannten Personen sehr hoch ist, und so nicht fehlerfrei identifiziert werden kann. Außerdem dürfen Gespräche zwischen Beschuldigtem und Verteidiger bei der Durchsuchung nicht mitgehört werden. Da der Zeuge KK Junghanß eigentlich zur Hausdurchsuchung im Einsatz war, dann aber heimlich eine Stimmidentifikation durchführte, stellt dies einen Täuschungsversuch da. Damit geht auch eine Umgehung der Verweigerung einer Selbstbelastung des Beschuldigten einher. Das Gespräch ist daher nicht verwertbar.

Die Staatsanwältin Geilhorn teilte diese Auffassung wie zu erwarten nicht, und wollte die Stimmerkennung verwerten.

RA von Klinggräff stellte ebenfalls einen Antrag gegen die Verwertung einer Stimmerkennung, in welcher drei Justizbeamte der JVA Castrop-Rauxel die Stimme eines Beschuldigten, der dort inhaftiert war, mit einer Stimme aus einem Gespräch, das ebenfalls aus einer Innenraumüberwachung in einem PKW stammte identifiziert haben wollen. Begründung: Es fehlen auch in diesem Fall Vergleichsstimmen, weiterhin wurden die Zeugen vorher darüber informiert, dass es sich um die Stimme des Beschuldigten handeln soll. Außerdem sind die Justizbeamten Laien in der Stimmerkennung. Laut Staatsanwaltschaft würden die drei Beamten jedoch sowieso nicht gehört und laut ihrer Auffassung sinke durch obiges nur der Beweiswert der Aussage der Beamten, ein Verwertungsverbot sah sie natürlich nicht.

Der Richter gab die Widersprüche von Nießing und von Klinggräf zu Protokoll, alle Verteidiger*innen schlossen sich den Anträgen an.
Der Richter wies die Beanstandung von Fragen an den Zeugen Junghanß bezüglich Stimmidentifizierung aus der Innenraumüberwachung zurück. Da eine richterliche Entscheidung nach §238 StPO beantragt wurde, wird dieses Thema jedoch zurückgestellt. Heute wird der Zeuge Junghanß nur zur Wohnungsdurchsuchung und Wohnverhältnissen befragt, die Befragung zur Stimmerkennung soll ein andermal geschehen.
In der Befragung des Zeugen geht es zuerst um eine Fototasche. Es wird erklärt, dass diese Fototasche bei der Hausdurchsuchung der Angeklagten gesichtet, aber nicht mitgenommen wurde. Bei einer Zellendurchsuchung in der JVA Chemnitz, wurde dieselbe Fototasche beschlagnahmt, in welcher sich nunmehr Negative befunden haben. Da die Cops sich nicht für die Privatsphäre Einzelner interessieren, wurden diese Negative mit persönlichem Inhalt entwickelt, ausgewertet und sind jetzt sogenannte Beweismittel.
RA Zünbül widersprach einer öffentlichen Inaugenscheinnahme einzelner Bilder. Das wurde zwar zurückgewiesen, allerdings blieb es beim Zeigen von Übersichtsaufnahmen der Asservate. Nach der Beschreibung der einzelnen Bildmotive wurde aufgehört in der Intimspähre der Betroffenen herumzuwühlen – einzelne Bilder wurden nicht gezeigt.

Als nächstes ging es darum ob der Zeuge etwas zu den Wohnverhältnissen des oben genannten Beschuldigten sagen könne. Junghanß behauptet, dass dieser zeitweise in der bereits diskutierten Wohnanschrift gewohnt haben soll. Begründung sind die Fotos, auf denen er in der Wohnung zu sehen sei, sowie eine Ton-Aufnahme aus der Innenraumüberwachung. In letzterer bezieht sich ein Sprecher, von dem Junghanß behauptet es sei eben jener Beschuldigte, mutmaßlich auf die Wohnung als „meine alte Wohnung“.
Außerdem wurden weitere polizeiliche Erkenntnisse zu dem Beschuldigten vorgetragen: der Beschuldigte sei im Ausland gewesen (laut Reiseunternehmen und Kreditkartendaten), hatte eine Mailadresse (laut Universität) und ein Familienmitglied hatte versucht eine Wohnung zu mieten (laut der Vermieterin, Hausverwaltung).

Im Anschluss befragte RAin Weyers den Zeugen, ob er konkrete Erkenntnisse hat, die zu der Annahme führen, dass der Beschuldigte in der Wohnung gewohnt hätte. Der Richter formulierte Fragen der Verteidigung um, oder antwortet anstatt des Zeugen. Er legte noch einen Witz über Weyers nach und verhielt sich so respektlos ihr gegenüber, dass diese in Rage geriet und wütend den Saal verließ. Ihr Kollege Aufurth bat um eine fünfminütige Unterbrechung. Der Richter sah selbstverständlich keine Schuld bei sich.

Letztendlich gab der Zeuge an, es gäbe zwar Indizien dafür, dass der Beschuldigte die Wohnung bewohnt hätte, aber keine konkreten Erkenntnisse, insbesondere dann, wenn die Audioaufnahme nicht berücksichtigt wird.

Zum Schluss wurde durch RAin Weyers noch einmal das Verhalten des Vorsitzenden kritisiert, andere RA*innen pflichten ihr bei. Aussagen wie „wenn ich das machen würde, dann wäre ich hier tot“ sind Angriffe auf die Arbeitsweise der Anwält*innen und machen deutlich, dass der Vorsitzende diese nicht respektiert oder ernst nimmt. Zu einer Klärung kam es nicht, da der Prozesstag beendet wird.