Bericht vom 54. Prozesstag – Mittwoch, 15.06.2022

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Bericht vom 54.Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 15.06.22.

Der 54. Prozesstag im Antifa-Ost-Verfahren begann am 15.06.2022 um 9:40 Uhr. Als Zeugen wurden der verkleidete KHK Michael Baum von der Soko LinX sowie Lars Kranich vom LKA Thüringen geladen. Weiterhin wurden Audioaufzeichnungen aus Innenraumaufnahmen von Fahrzeugen sowie ein mitgeschnittenes Telefonat eines Angeklagten abgespielt. Der Tag war überschattet von Hausdurchsuchungen in Berlin und Leipzig, die im Zusammenhang mit vermeintlichen Informationen stehen, die der Verräter und Vergewaltiger Johannes Domhöver den Repressionsbehörden geliefert hatte.

Zu Beginn der Verhandlung teilte der Vorsitzende mit, dass mit den Vernehmungsprotokollen von Johannes Domhöver, welche etwa 7 mal 20 Seiten umfassen, neues Material vorliege, welches er später zur Verfügung stellen werde. Dieses Material könne zur Vorbereitung auf die nächsten Verhandlungstage gelesen werden, weswegen der morgige Verhandlungstag entfalle. Der neue Anwalt von Domhöver sei Michael Stephan aus Dresden.

Die Verteidigung stellte in Frage, ob es aufgrund der neuen Erkenntnisse durch die Aussagen J. Domhövers überhaupt Sinn mache, die Verhandlung wie geplant weiter fortzuführen und stellte fest, dass sich das Verfahren weiter in die Länge ziehen werde. 

Auf die Frage der Verteidigung, ob denn schon alle Aussagen Domhövers zum hiesigen Verfahren vorliegen, antwortete Bundesanwalt Bodo Vogler süffisant, dass zum hiesigen Verfahren die Aussagen abgeschlossen seien und deutete damit darauf hin, dass es weitere Dinge gibt, zu denen J. Domhöver ausgesagt hat.

Der Vorsitzende bestätigte eine Verlängerung der Verhandlungstermine bis in den Herbst und legte fest, dass die Zeugen unabhängig von den neuen Erkenntnissen  heute gehört werden könnten.

So wolle er die weitere Befragung von KHK Michael Baum zu den Funkzellen zum Tatkomplex Wurzen und von Lars Kranich zur Identifizierung eines Autokennzeichens im Tatkomplex Eisenach II, sowie das Abgeben von Erklärungen durch die Verteidigung heute dennoch gerne durchführen. 

Befragung Michael Baum aka Heinz Rudolf Kunze

Bei der Zeugenbefragung des leitenden Beamten der Ermittlungsgruppe zum hiesigen Verfahren bei der Soko LinX, der wieder in seiner aufwändigen Verkleidung und mit verstellter Sprechweise auftrat, ging es bezüglich des Tatkomplexes Wurzen um das vermeintlich verwendete Telefon und die Dauer eines Telefongesprächs im Zug von Dresden nach Wurzen. KHK Baum hatte im Zusammenhang mit einem Angriff auf Neonazis am Bahnhof Wurzen am 15.02.2020 die Funkzellenauswertung betrieben.

Der Vorsitzende begann seine Befragung, indem er erklärte, dass es am 51. Verhandlungstag Unklarheiten über das mutmaßlich etwa 5 minütige Telefongespräch gegeben hätte, und bat den Zeugen darüber zu reden. 

Anlass war die angebliche Identifizierung zweier Beschuldigter im Regionalexpress zwischen Dresden und Leipzig, bei der eine der Personen, wie auf den Videobändern erkennbar sein soll, ein etwa 5-minütiges Telefonat getätigt hätte.

Der Zeuge meinte, im Zeitraum zwischen 19:24 Uhr und 19:29 Uhr hätten im fraglichen Bereich nur zwei Gespräche von ungefähr fünf Minuten Länge stattgefunden, von denen nur eines über eine GSM-Zelle geführt worden sei. Anhand der Rufnummer konnte er dieser durch Verwendung des „IMEI-Tools“ zweifelsfrei ein Telefon der Marke Siemens M55 zuordnen.

Der Vorsitzende stellte fest, dass im angeblichen Tatmitteldepot ein M54 gefunden worden sei. Baum wiederholte, dass das „IMEI-Tool“ jedoch ein M55 zugeordnet hätte. Mit der Abschaltung des GSM-Netzes seien diese Telefone heute nicht mehr nutzbar. 

Auf Nachfrage des Vorsitzenden erläuterte Baum den Begriff Fahrspur: Dies sei der Bereich, in dem die Zellen eingefangen werden, es werde mit einem Gerät herumgefahren und alle Zellen, die dort aktiv sind, würden eingefangen. Wenn er eine Strecke von 100 m ablaufen würde, könne es sein, dass eine Zelle z.B nur auf einen Bereich von drei Metern einwirke.

Die Verteidigung fragte nach, wie er beim Abgleich des Telefons, welches eine Person im Zug genutzt habe und des Siemens M55 vorgegangen sei. Baum antwortete, er hätte sich Bilder aus dem Internet vom M55 angeschaut und diese mit den Videoaufzeichnungen aus dem Zug von der telefonierenden Person verglichen. Wie der Netzanschluss des M55 aussieht, habe er sich nicht angeschaut.

Auf Nachfrage erklärte Baum, dass die bei einer Hausdurchsuchung bei einem Beschuldigten gefundene externe Kamera mit dem Siemens M55 kompatibel sei. Auf Nachfrage der Verteidigung gab der Zeuge zu, nicht zu wissen, ob diese Kamera auch mit anderen Geräten kompatibel sei. Auch dieses Wissen habe Baum aus einer Recherche bei google.

Dann wurde eine Frage aus der letzten Befragung wieder aufgegriffen. KHK Baum hätte sich nun zum Begriff Demobeobachter informiert, den er damals nicht kannte. Demobeobachter seien Leute, die über Twitter über die Demolage aus Sicht des Beobachters kommunizieren würden. Er hätte festgestellt, dass das Siemens M55 über eine Browserfunktion verfüge, aber nicht über Twitter kommunizieren könne. Es sei ebenfalls ein WLAN im Gerät hinterlegt. Zum jetzigen Zeitpunkt sei noch nicht klar, ob die gefundene SIM-Karte über Datenvolumen verfügt hat.

Im Folgenden wurde durch die Verteidigung die Frage thematisiert, ob der Vorsitzende bei Michael Baum Nachermittlungen beauftragt hat, ohne die Verteidigung darüber zu informieren. Offenbar hatte der Vorsitzende Baum per E-Mail um weitere Konkretisierungen bezüglich des 5 minütigen Telefongespräches gebeten, da die Verteidigung Diskrepanzen bei seiner Erklärung bemängelt hatte. Es wurde eine Pause festgelegt in welcher der Vorsitzende die Mail ausdruckte, um sie allen Verteidiger:innen zur Verfügung zu stellen.

Die Verteidigung befragte Baum danach, wie er die Erkenntnisse zum Aservat, die er zuletzt an den Vorsitzenden geschickt habe, ermittelt hätte. Er hätte einer Kollegin mündlich die Anweisung gegeben, das Telefon zu überprüfen. Er nehme an, dass sie dann das Telefon angeschaltet und nachgeschaut habe, er selbst sei nicht dabei gewesen. Das Ergebnis hätte sie ihm in einem „nicht aktenfähigen“ Vermerk schriftlich gegeben. Widersprüche wie etwa, dass im Extraktionsbericht 19 drahtlose Netzwerke standen und die Kollegin Fasel dies bei ihrer Überprüfung des WLAN-Zugriffs nicht festgestellt haben könnte, seien ihm nicht aufgefallen.

Die Verteidigung fragte nun nach dem Umgang mit sogenannten „nicht aktenfähigen“ Unterlagen. Die Verteidigung wiederholte ihren Verdacht, dass es bei den ermittelnden Behörden Nebenakten gäbe, die nicht in die Hauptakten aufgenommen würden. Daher fragte die Verteidigung nach wie häufig es zu „nicht aktenfähigen“ Unterlagen komme und wie Herr Baum mit solchen umgehen würde. In diesem Fall hätte er die Notizen von Frau Fasel auf der Dienststelle verwahrt. Er habe die handschriftlichen Notizen abgeschrieben, in Form gebracht und an den Vorsitzenden gesendet. Die Frage der Verteidigung, in welcher Form die Notiz auf der Dienststelle liegt, wurde vom Vorsitzenden beanstandet.  Bundesanwalt Vogler unterstützte die Beanstandung der Frage, nicht alles was recherchiert werde, müsse in die Akte sondern nur wesentliche Erkenntnisse. Die Verteidiger:innen Nießing, Zünbül, Belter und Werner beanstandeten diese Beanstandung. Nach einer kurzen Pause, in der sich das Gericht zur Beratung zurückzog, wurde die Beanstandung der Frage bestätigt.

Im Folgenden wurden Bilder aus dem Bericht von KHK Baum eines Siemens M55 und einer mit diesem kompatiblen Steckkamera in Augenschein genommen. Rechtsanwalt Zünbül bemängelte die Quellenangabe im Bericht, welche lediglich „google.de“ lautete. Baum entschuldigte sich für die miserable Quellenarbeit.

Der Vorsitzende wollte KHK Baum gerade entlassen, da begann dieser noch einige Ausführungen zu machen. Da bei seiner letzten Befragung durch die Verteidigung seine Erklärungen zur Länge des Telefonats hinterfragt und außerdem bemängelt wurde, dass er sich das Überwachungsvideo vom Zug nicht angeschaut hatte, habe er dies nachgeholt. Dabei will er erkannt haben, wie lange und in welchen zeitlichen Abständen (sekundengenau) die Person spezifische Handlungen am Telefon vollzogen hätte, wie er zu erklären begann.

Die Verteidigung unterbrach ihn und erklärte, dass die Interpretation eines Videos nicht Aufgabe des Zeugen und in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist. Baum erklärte, er hätte alles in einen Vermerk geschrieben und würde diesen dem Gericht zukommen lassen.

Michael Baum wurde um 11:32 Uhr unvereidigt entlassen.

Die Verteidigung merkte an, dass sich angesichts der Aussagen von Johannes Domhöver die Richtung des Verfahrens verändern würde und dass diese Aussagen zunächst gelesen werden müssten. Daher würden heute und in den nächsten Tagen keine Angaben zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten gemacht.

Im folgenden wurden einige Aufnahmen aus der Innenraumüberwachung von zwei Fahrzeugen abgespielt. Die solidarischen Besucher:innen verließen dafür den Gerichtssaal. 

In der Zwischenzeit wurde im Innenhof ein Besucher vom Hausherren gemaßregelt, da er einige Kieselsteine der kargen Bepflanzung des Innenhofs eingesteckt hatte. Nach einer daraufhin erfolgten Kontrolle seiner Personalien wurde festgestellt, dass dieser einen offenen Haftbefehl aufgrund des Nichtzahlens eines Bußgeldes in Höhe von 20 Euro (ein Tag Erzwingungshaft) hatte. Da er die darüber hinaus entstandenen Bearbeitugnskosten nicht zahlen wollte, wurde er durch die vom Hausherren herbeigerufenen Bullen abgeführt. Nachdem festgestellt wurde, dass der Besucher tatsächlich nur die 20 Euro zu zahlen hatte, um einer Festnahme zu entgehen, konnte er nach einem kurzem Aufenthalt auf der Polizeistation gehen und weiter an der Verhandlung teilnehmen, durfte aber den Innenhof nicht mehr betreten.

Das Anhören der Aufnahmen wurde aufgrund dieses Vorfalls durch eine frühere Mittagspause unterbrochen.

Befragung Kranich vom LKA Thüringen

Nach der Mittagspause war der Nebenklageanwalt Kruppe anwesend. Der Vorsitzende wies darauf hin, dass ein angekündigter Widerspruch gegen die Verwertung der Innenraumaufnahmen nach der noch nicht erfolgten Erledigung der gesamten Augenscheinsverfügung anzubringen sei. 

Anschließend wurde Lars Kranich, 55, in den Zeugenstand gerufen. Dieser kam überraschend für Leute vom LKA Thüringen ohne den Zeugenbeistand Hirschmann. Dieser wurde zum Tatkomplex Eisenach II befragt.

Beweisthema sei, laut Zeuge, das Kennzeichen eines eventuell relevanten Fahrzeugs, welches von einer Videokamera am Abend von Eisenach II nur undeutlich erfasst worden war.

Er hätte das Video daher so bearbeitet, dass das Kennzeichen besser erkennbar sei und ein „wahrscheinlichstes Kennzeichen“ festgestellt und dieses an den Staatsschutzbeamten beim LKA Thüringen, Bauerfeind, gegeben. Kranich sei sich bis auf die Zeichen in der Mitte ziemlich sicher diese korrekt zu erkennen. Es wurden einige Screenshots des Fahrzeuges gezeigt, auf welchen der Vorsitzende meinte, die Zahlen gut zu erkennen. Die Verteidigung erklärte, die Zahlen nicht zu erkennen. Der Zeuge teilte mit, dass der Mittelteil des von ihm vermuteten Kennzeichens sich später als falsch herausstellte. Der Zeuge wurde unvereidigt entlassen. 

Weitere Tondokumente zum Tatkomplex Wurzen und Eisenach II

Im Anschluss wurden weitere Tondokumente abgespielt, die solidarischen Besucher:innen verließen den Saal. Währenddessen legte die Verteidigung Widerspruch gegen die Inaugenscheinnahme der Gespräche aus der Innenraumüberwachung ein, mit der Begründung, dass die Beschreibung des Autos „abgefuckter grauer Golf“ auf ein anderes Auto hinweise. Die Audioaufnahme ist das einzige Indiz zur Beteiligung an der Tat, eine Körperverletzung ist keine Katalogtat und erlaubt daher keine Einführung, es gibt daher keine Ansatzpunkte für eine Vereinigungstat.

Es stellte sich heraus, dass der Vorsitzende beim Abspielen der gesamten Audiodateien des Tages stets deren Verschriftlichung mitlas, um dann am Ende zu sagen: Ich habe alles verstanden! Die Verteidigung bemängelte dies als Verfälschung der Beweisaufnahme und gab an, dass Augenscheinsbeweise so nicht gedacht sind. Mehrere Verteidiger:innen machten einen Widerspruch gegen die Verwertung. Zum Teil wurde beantragt, die Begründung dafür zum nächsten Prozesstag nachreichen zu können. Darüber kam es zu einer erhitzten Diskussion, in der der Vorsitzende lautstark der Verteidigung vorwarf, mangelhaft zu verteidigen, später entschuldigte er sich für diese Bemerkung.

In der anschließenden Pause wurde auch Kruppe die DVD mit den Aussagen Domhövers gegeben. Er verließ daraufhin um ca. 14:15 Uhr den Saal.

Nach der Pause bestätigte der Vorsitzende den Beschluss, der Verteidigung für die Begründung ihres Widerspruchs nicht bis zum nächsten Verhandlungstag Zeit zu geben. Die Verteidigung bemängelte, dass die heiklen Dokumente mit Domhövers Aussagen der Nebenklage zur Verfügung gestellt worden waren, da dies eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei.

Im Anschluss wurde ein Gespräch aus einer Telekommunikationsüberwachung abgespielt, welches das Alibi eines Angeklagten bestätigt, die solidarischen Besucher:innen verließen wieder den Raum. Im Anschluss teilte der Vorsitzende mit, dass er annehme, hier einen der Angeklagten gehört zu haben, und dass damit für diesen die Mitgliedschaft in der Vereinigung nicht nachgewiesen werden könne, möglicherweise jedoch deren Unterstützung.

Der Vorsitzende echauffierte sich außerdem darüber, dass heute einer der Besucher:innen Kieselsteine eingesteckt hatte, er meinte, dass in Zukunft mit Hausverbot zu rechnen sei, und dass hier eine Grenze erreicht sei. Die Verteidigung fragte außerdem, ob es sitzungspolizeiliche Beschränkungen zum Tragen von kurzen Hosen gäbe. Der vorsitzende Richter antwortete ausweichend, was seiner Meinung nach eine angemessene Hosenlänge sei.

Der Vorsitzende verfügte, dass der morgige Verhandlungstag ausfällt. Die Verteidigung teilte mit, dass die Angeklagten vorerst keine Erklärung ihrer persönlichen Verhältnisse abgeben würden.

Damit endete der Verhandlungstag um ca. 15:15 Uhr. Der nächste Verhandlungstag findet am 22. Juni um 9:30 Uhr statt.