Bericht vom 51. Prozesstag – Donnerstag, 12.05.2022

You are currently viewing Bericht vom 51. Prozesstag – Donnerstag, 12.05.2022
  • Lesedauer:12 min Lesezeit

Bericht vom 51. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 12.05.2022

An diesem Prozesstag war KHK Michael Baum als Zeuge geladen, um zur Identifizierung von Telefonen anhand der Nummerntypen IMEI, ICCID und ISMI befragt zu werden. Der Kriminalhauptkommissar hatte sowohl mehrere, bei Durchsuchungen gefundene, Handys ausgewertet, als auch mittels Funkzellenabfragen für den Angriff am Wurzener Bahnhof versucht, sogenannte Aktionstelefone und deren Inhaber:innen zu ermitteln. Außerdem hat Michael Baum den Neonazi Leon Ringl befragt und Ermittlungen zum Auto von Lina gemacht.

Auftritt Baum und Simkarten-Identifizierung

Der Tag startete leicht verspätet kurz vor 10 Uhr. Auch am zweiten Prozesstag in dieser Woche hatte Heinz Rudolf Kunze große Sorge in der Öffentlichkeit mit dem Kriminalhauptkomissar Michael Baum der Soko Linx in Verbindung gebracht zu werden. Sein Alter wurde darum weiterhin streng geheim gehalten. Auch an diesem Tag sprach Kunze aka Baum mit sehr langsamer, brüchiger, enervierender Stimme in Formulierungen, die meist klangen als spreche ein Aktenordner und kein Mensch aus Fleisch und Blut.

Zunächst referierte Baum wie Simkarten anhand mehrerer Nummern eindeutig zu identifizieren seien. An jede Simkarte wird eine Nummer vergeben, genannt ICCID. Jedes Handy wird ebenfalls mittels einer Nummer, der IMEI, ausgestattet, wie bei der Simkarte ist diese einmalig. Über diese IMEI sei unter anderem auch die Gerätereihe des Telefons herausfindbar. Aus dieser Kombination aus IMEI und ICCID wird beim erstmaligen Einwählen in das Mobilfunknetz eine weitere Nummer ausgegeben, die IMSI. Anhand dieser ist jede Handy-Simkarten-Kombination eindeutig zuordenbar.

Beschäftigt hatte sich der Zeuge mit Simkarten, da bei der Durchsuchung des Fahrzeugs von zweien der Angeklagten am 14.12.2019 ein Handy und eine Simkarte sowie leere Simkarten-Träger gefunden worden waren. Da Baum gerne nachvollziehen wollte, wie Mobiltelefone funktionieren, hätte er eine umfangreiche Versuchsreihe und Recherchen zu Prepaid-Karten angestellt. Eigentlich sind Prepaid-Karten seit dem 01.07.2017 nur noch über die Verifizierung mittels Personalausweis in eigenen Validierungsstellen zugelassen. Im vorliegenden Fall sei jedoch bekannt geworden, dass die Beschuldigten mit vorangemeldeten Simkarten telefonierten.

Um hier ein wenig Licht ins kriminelle Dunkel zu bringen, habe der KHK Baum sich mit einem Kollegen, der gegen die organisierte Kriminalität arbeitet, ausgetauscht. Von diesem habe er unter anderem die verschiedenen Möglichkeiten genannt bekommen, wie trotz Verbotes falsch registrierte Simkarten in Umlauf kämen. Der Hauptgrund seien Provisionsbetrüge seitens der Großhändler, die die Simkarten vertreiben würden. Statt sie unregistriert auszuliefern, würden diese, da sie Zugriff auf die Validierungsstellen hätten Simkarten im großen Stil auf falsche Personalien registrieren. So sei es möglich Provisionen von den Mobilfunkanbietern einzustreichen. Interessant war dieser Vorgang für den Zeugen geworden, weil er für jedes gefundene Telefon bei den Netzbetreibern und den Mobilfunkanbietern sämtliche vorhandenen Daten abgefragt habe. Dabei sei ihm jeweils aufgefallen, dass kurz nach der Registrierung ein oder zwei Anrufe getätigt worden seien. Diese seien notwendig, um die Provisionsansprüche geltend zu machen und hätten mit den zu ermittelnden Taten nichts zu tun. Erst in großem zeitlichen Abstand falle dann eine sogenannte stille SMS auf, welche den Moment des ersten Auftretens der Handy-Simkarten-Kombination kennzeichne.

In der Folge habe die Ermittlungsgruppe dann Recherchen zu den Verkaufs- und den Validierungsstellen angestellt. Dafür seien Beamt:innen einmal zum Zack-Shop in der Prager Spitze in Dresden und einmal zu einer Stelle in Leipzig geschickt worden, um Simkarten zu erwerben. Letztere Stelle in Leipzig haben die Polizeibeamt:innen aufgesucht, weil auf einer der Simkarten ein Anruf zu einem Anschluss im Dong Xuan Center auf der Maximillian Allee 14 festgestellt worden war. Das zugehörige Geschäft sei in der Zwischenzeit geschlossen worden, weshalb die Beamt:innen bei einem anderen Geschäft eine Simkarte gekauft hätten. In der Folge seien dann weitere Ermittlungen zu dem ehemaligen Inhaber des Geschäfts gemacht worden. Dieser sei ein sehr umtriebiger Geschäftsmann. Allem Anschein nach rechnete ihn der Zeuge ohne weitere Anhaltspunkte der Organisierten Kriminalität zu.

Beim Geschäft in Dresden handele es sich hingegen um eine Validierungsstelle für Simkarten, welche ebenfalls bereits registrierte Karten vertreibe. Hier sei der Grund nicht der Provisionsbetrug. Nicht mehr sicher beantworten konnte Baum hingegen die Frage, wie seine Kolleg:innen vor Ort aufgetreten seien. Mutmaßlich hätten sie lediglich nach Simkarten – egal ob un- oder registriert – gefragt, woraufhin sie von den Stellen automatisch bereits registrierte, also in den Augen der Polizei solche für kriminelle Zwecke, verkauft bekommen hätten.

Auf welcher Grundlagen und warum diese Ermittlungen, deren Ergebnis meist auch auf Wikipedia anlesbar gewesen wäre, gemacht und nun in das Verfahren eingeführt werden, blieb unklar. Die Verteidigung merkte zwar mehrfach an, dass die Ausführungen des Zeugen weitschweifig, unkonkret und allgemein seien. Der Fortbildungsbedarf der fragenden Richter reichte aber als Legitimation aus.

Anschließend berichtete der Zeuge über Kommunikationsdaten, die ausgehend von einem Handy, das bei einem der Beschuldigten gefunden wurde, für den 25.01.2020 zusammen getragen wurden. Zunächst hätten die Ermittler den Anschlussinhaber und die Verkehrsdaten abgefragt. Dabei hätten sie festgestellt, dass an diesem Tag Kommunikation zwischen dem Anschluss und zwei gespeicherten Kontakten, Sam und Nils, stattgefunden hätte. Darum sei dann recherchiert worden, welches dazu passende Ereignis am 25.01.2020 gewesen sei und habe so auf die Demonstration anlässlich des Prozesses um die Internetplattform linksunten.indymedia.org geschlossen. Nach Aussage des KHK Baum passten die an dem Tag versendeten SMS zum Demonstrationsgeschehen. Straftaten oder andere belastbare und für das Verfahren relevante Daten konnte man allerdings nicht zusammen tragen. Die Verteidigung musste an dieser Stelle einmal mehr richtig stellen, dass der Besuch einer linken Demonstration grundsätzlich kein geeigneter Anlass ist, um Menschen zu kriminalisieren.

Nach der Mittagspause sorgte zunächst die ausfallende Zeugenkamera für Bingorufe im Saal. Heinz Rudolf Kunze aka Michael Baum schilderte im Zeugenstand weitere Ermittlungsergebnisse. So seien bei der Auswertung der Fahrzeugdurchsuchung vom 14.12.2019 auf Fotos zwei Simkartenträger gesichtet worden. Die Simkarten seien nicht mehr vorhanden gewesen. Allerdings sei es der Polizei möglich, anhand der Nummern auf den Kartenträgern auf die Sim selbst und somit auch auf die Nummer zu schließen. Diese Nummern seien den Ermittlungen der Polizei zufolge Teil eines geschlossenen Kommunikationskreises gewesen, der am Tag des Angriffs auf Leon Ringl kommuniziert hätte.

Sehr schwer verständlich waren schließlich die Aussagen Baums, zu einer Versuchsreihe, die er mit zwei Asservaten gemacht hätte, um das zu Stande kommen der Uhrzeiteinstellungen auf den Geräten zu verstehen. Die Ermittler:innen waren wohl zunächst davon ausgegangen, dass die Telefoneinstellungen gezielt manipuliert worden wären, um sie in die Irre zu führen. Hingegen, dass hat Baum immerhin feststellen können, seien die unterschiedlichen Uhrzeiten, die Telefonate in den Anruflisten bekommen hätten, durch Ausschalten bzw. das heraus nehmen der Akkus entstanden.

Ermittlungen zu Miet-Auto und Vernehmung Leon Ringl durch Baum

Zwei weitere kleinere Punkte der Vernehmung waren einmal Ermittlungen rund um das Auto einer der Beschuldigten und die Vernehmung Leon Ringls. Am 04.06.2020, also in der Zeit der angeblichen Observation Brian Engelmanns, soll Lina sich ein Fahrzeug über den Anbieter Snapcar gemietet haben. Dies kam dem Ermittler irgendwie kriminell vor, schließlich habe die Beschuldigte ja ein eigenes Auto. Ob dieses Fahrzeug aber bspw. zu dem Zeitpunkt in der Werkstatt gewesen sei, oder ob irgendwelche Fahrtrouten bekannt seien, konnte der Ermittler nicht sagen. Abermals kam es hier zum Streit zwischen dem Vorsitzenden und der Verteidigung: Die Annahmen und Schlussfolgerungen der Polizei wolle der Richter nicht im Prozess haben, da er allein auf Grund der Sachlage am Ende des Prozesses über Schlussfolgerungen zu entscheiden habe. Einmal mehr blieb die Polizeiarbeit an dieser Stelle unhinterfragt.

KHK Baum hat im Jahr 2021 eine Vernehmung mit dem Neonazi Leon Ringl gemacht. Dabei war es zu einem Missverständnis zwischen Fragendem und Befragtem gekommen. Ringl hatte auf Nachfrage die weibliche Person geschildert, die er am 19.10.2019 und am 14.12.2019 jeweils bei den Angriffen auf ihn wiedererkannt haben will und die er als Lina Engel benannte. Das Ziel der Nachfrage war allerdings nicht diese Personenbeschreibung gewesen. Stattdessen hatte Baum nach einer Beschreibung für eine weibliche Person gefragt, die am Abend des 19.10. im Bulls Eye auf Toilette gehen wollte. Aus den Vernehmungsprotokollen ist nun anscheinend nicht mehr ersichtlich, wann Ringl welche Frau wie beschrieben hatte. Dies aufzuklären war auch der hartnäckigen Verteidigung nicht möglich. KHK Baum blieb dabei, dass Ringl zunächst eindeutig die Frau, die um 23 Uhr auf Toilette gehen wollte, beschrieben hätte, die somit große Ähnlichkeiten mit der Beschuldigten aufweisen würde.

Funkzellenauswertung

Der letzte große Punkt am 51. Verhandlungstag war die von KHK Baum betriebene Funkzellenauswertung für den 15.02.2020. Er habe für den Tattag die Funkzellen am Dresdner Hauptbahnhof und dem Wurzener Bahnhof ausgewertet.

Ansatzpunkt seiner Auswertung sei die Identifizierung zweier Beschuldigter im Regionalexpress 50 zwischen Dresden und Leipzig gewesen. Eine der beiden Personen hätte ein sehr auffälliges Kommunikationsverhalten gezeigt. In seinem Auftrag seien nun die mutmaßlichen Gesprächszeiten, die auf den Videobändern erkennbar sein sollen, aufgelistet. Im Anschluss habe er versucht herauszufinden, welche der Gesprächszeiten zu Daten aus der Funkzellenauswertung passen könnte. Dafür habe er ein etwa 5-minütiges Telefonat genommen und dieses in den Daten gesucht. So sei er auf eine Nummer gestoßen, die etwas mehr als 5 Minuten telefoniert habe. Diese habe die Ziffern 0157 am Anfang sowie am Ende die Zahlen 73 gehabt.

Diese Nummer wiederum hätte mit zwei oder drei anderen Nummern Kontakt gehabt, welche am Ende die Ziffern 74, bzw 75 und 76 hätten. In den Daten der Funkzellen sehe das so aus, dass jeweils immer eine A- und eine B-Nummer vergeben würde. Erstere sei der:die Anrufer:in, letztere die angerufene Nummer.

Dies sei ihm verdächtig vorgekommen, weshalb er sich nun auf sie konzentriert habe. Anhand der am Tagesanfang genannten Nummern sei nun versucht worden, den Gerätetyp für die erste Nummer 0157….73 festzustellen. Es handele sich um ein Modell, welches für die Polizei als Aktionshandy in Frage komme. Nun kam der Zeuge zurück zu dem Gespräch, welches 5 Minuten gedauert hätte. Es habe um 19:27 Uhr begonnen, zu dem Zeitpunkt war der RE 50 laut Baum auf der Höhe Küren. Die folgenden 5 Minuten sei der Zug dann bis Wurzen gefahren. Auch dieser Umstand erscheine ihm verdächtig.

Die Verteidigung ging nun auf die Ermittlungsarbeit ein. Die hier vorliegende Datenauswertung müsse zunächst nachvollzogen werden, da ein hochkomplexer Datensatz aus 94.000 Einträgen in der Funkzellenabfrage auf einzelne Punkte reduziert würde. Zunächst musste der Ermittler einräumen, dass er sich selbst die Zugaufnahmen nie angeschaut hätte, sondern lediglich Bilder davon gesehen hätte. Außerdem hat er andere Telefonate, die ebenfalls der von ihm gesuchten Dauer entsprechen, bei Seite gelassen. Er habe sich eben auf diesen einen Kommunikationskreis konzentriert, der ihm verdächtig vorgekommen sei, verteidigte sich der Ermittler. Ein weiterer Punkt der Verteidigung war, dass das Telefonat, welches Baum aus den Funkzellendaten heraus gegriffen hat, augenscheinlich nicht 5 Minuten lang gewesen sei, sondern einige Sekunden kürzer. Auf den Zugaufnahmen hingegen, telefoniere die als beschuldigt identifizierte Person hingegen etwa fünfeinhalb Minuten. Diese und weitere Widersprüche zwischen den Aufstellungen der Videoauswertung und der Funkzellendaten habe er nicht überprüft, gab der Ermittler zu. Gefragt nach seinen Erfahrungswerten bezüglich der Auswertung von Funkzellen gab sich Heinz Rudolf Kunze erneut wortkarg. Angaben zu seiner Dienstzeit, könnte ihn in Verdacht bringen, der KHK Michael Baum der Soko LinX zu sein.

An dieser Stelle unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung, da es bereits spät sei und Heinz Rudolf Kunze dann eben ein drittes Mal als KHK Baum auftreten müsse.

Das Programm für die nächste Woche ließe dafür genug Platz. Am 52. und 53. Verhandlungstag stehen mehrere Polizeizeug:innen an: Zum einen die Besatzung des Streifenwagens, der am 08.06.2020 den Wohnort Brian Engelmanns passiert habe, ein weiterer Polizist aus dem Komplex Eisenach I und die Polizistin Bindl, welche Beobachtungen zu gesondert Beschuldigten verschriftlicht habe. Außerdem habe der Senat sich nicht dem Beweisantrag verschlossen, den Zeugen K. zu hören, welcher gegenüber dem Bulls Eye wohnt und Beobachtungen gemacht habe.

Der nächste Prozesstag findet am 18.05.2022 um 09:30 Uhr am OLG Dresden statt.