Opening Statement der Verteidigung zur Prozesseröffnung

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Mitschrift vom Opening Statement der Verteidigung der Angeklagten im Antifa Ost-Prozess zur Eröffnung am 8. September 2021. Ergänzend sei auf das Opening Statement der Verteidigung von Lina verwiesen (Link zur Mitschrift).

Block 1:

„Für den Generalbundesanwalt ist dieses Verfahren ein Experiment. Wie weit kann man gehen, wie weit kann man den Anwendungsbereich des § 129 StGB ausdehnen und mit welchen Sachverhalten kann man Oberlandesgerichte befassen. Aus weniger juristischer Perspektive: Was ist im Bereich des Staatsschutzes möglich? Wie hoch können Verfahren mit politischen Inhalten gehängt werden? Was muss dazukommen, damit Straftaten gleichzeitig als Vereinigungsdelikte bewertet werden – muss überhaupt etwas dazu kommen, wenn mehrere Personen beteiligt sind? Ist die Grenze jetzt nur noch das angedrohte Höchstmaß einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren? Fallen damit nur noch Delikte wie Hausfriedensbruch und einfache Beleidigung aus dem Anwendungsbereich des § 129 StGB heraus, wenn sie von mehreren Täter:innen mit politischem Motiv begangen werden? Kurz: Wenn ein politisches Motiv im Raum steht, ist dann eigentlich fast jede Tat mit mehreren Täter:innen schon ein Fall für den GBA? Für ein OLG?

Für die Oberlandesgerichte kann das Verfahren vor diesem Hintergrund eine Weggabelung bedeuten. Werden demnächst die Oberlandesgerichte überzogen mit Verfahren, für die früher Land- oder sogar Amtsgerichte zuständig waren? Werden sie demnächst über von Mehreren begangene Nötigungen verhandeln, über von mehreren begangene einfache Körperverletzungen, Widerstandshandlungen, Gefangenenbefreiungen oder grobe Störungen von Versammlungen – alles Delikte, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind?

Eine neue Überlastung der Oberlandesgerichte war sicherlich nicht das, was der Gesetzgeber sich vorstellte, als er im Jahr 2017, als ein EU-Vertragsverletzungsverfahren drohte, den § 129 StGB änderte. Liest man die Protokolle der Aussprache mit Bundestag zu dem damaligen Gesetzentwurf wird deutlich, worum es eigentlich ging: Die so genannte Organisierte Kriminalität, ein Phänomen, das schon im Namen trägt, dass es sich durch eine besondere Form der Strukturierung auszeichnet. Der Gesetzgeber war in Zugzwang geraten, nachdem Deutschland sich zunächst als Vertragsstaat des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität („Palermo-Übereinkommen“) und später über den EU-Rahmenbeschluss 2008/841/JI zur effektiven Bekämpfung der organisierten Kriminalität verpflichtet hatte, der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aber den Wortlaut des damaligen § 129 StGB nicht völker- beziehungsweise unionsrechtskonform auslegen wollte.

Ziel des Gesetzgebers war es 2017, die Organisierte Kriminalität „besser“ zu bekämpfen, da derartige Kriminalität nicht nur eine Bedrohung für die jeweils betroffenen Bürger:innen oder für das jeweils betroffene Rechtsgut der Allgemeinheit darstelle, sondern darüber hinaus die wachsende Gefahr der Unterwanderung und Korrumpierung staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen bestehe. Wichtigster Punkt war es für die Abgeordneten, die Auslegung des § 129 StGB „an dem wirklichkeitsnahen Bild hierarchisch strukturierter Organisationen“ zu orientieren (so der Abgeordnete Senzburg in der Plenardebatte). Als Kriminalitätsfelder, in denen sich Organisierte Kriminalität betätigt, wurden in der parlamentarischen Debatte Rauschgift- und Waffenhandel, Falschgeldverbreitung, Glücksspiel, Prostitution und Menschenhandel genannt.

Ganz klar war die Gesetzesänderung darauf gemünzt, die Vorgaben aus „Palermo-Übereinkommen“ und EU-Rahmenbeschluss zur Organisierten Kriminalität zu erfüllen. Hierbei ist zu beachten: Das Palermo-Übereinkommen bezieht sich auf strukturierte Gruppen, die gemeinsam mit dem Ziel vorgehen, Straftaten nach diesem Übereinkommen zu begehen, „um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“ – bezieht sich also gar nicht auf Taten mit politischer Motivation. Dasselbe gilt für den Rahmenbeschluss.

Grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, gegen die sich zu rüsten Palermo-Konvention und EU-Rahmenbeschluss den Unterzeichner- und Mitgliedstaaten aufgeben, meint also finanziell/materiell motivierte Taten, Taten, die sich in illegalen Märkten abspielen, sei es Handel mit Waffen, Menschen oder Betäubungsmitteln.

Am Rande sei bemerkt: Beide, Überkommen und Rahmenbeschluss, sehen – um den Anwendungsbereich nicht uferlos werden zu lassen – ein Höchstmaß von mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe vor, damit ein Delikt als Organisationsdelikt gelten kann. Die Delikte, die Organisationsdelikte im Sinne von Übereinkommen und Rahmenbeschluss sein können, waren mithin Delikte von einer gewissen Schwere.

Der deutsche Gesetzgeber hatte sich zunächst auf den Standpunkt gestellt, dass er die EU- und völkerrechtlichen Vorgaben in Bezug auf Organisierte Kriminalität mit den bestehenden Regelungen des StGB bereits erfüllte, war dann aber doch von Seiten der Kommission angemahnt worden, nachdem in der Rechtsprechung im Bereich der §§ 129 StGB weiterhin ein Vereinigungsbegriff vertreten wurde, der mit dem Wortlaut des Rahmenbeschlusses nicht in Übereinstimmung zu stehen schien.

Daher wurde kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode dann noch eine Gesetzesänderung umgesetzt – allerdings ohne die Besonderheiten des deutschen Strafrechts mit dem Begriff der Bande neben dem der Vereinigung zu berücksichtigen und ohne jeden Blick darauf, dass in der Strafrechtspraxis § 129 StGB fast ausschließlich auf Staatsschutz-Sachverhalte Anwendung findet. In dem Bereich der „Organisierten Kriminalität“, die darauf aus ist, sich – Zitat – „unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“, wird in der deutschen Strafrechts-Praxis schon im Ermittlungsverfahren kaum je der Vorwurf des § 129 StGB erhoben. Seitdem der Straftatenkatalog für Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung ausgeweitet wurde, ist seine Bedeutung in Verfahren, in denen die Ermittlungen von OK-Abteilungen geführt werden, noch weiter in den Hintergrund getreten. Verurteilt werden Personen, gegen die in OK-Fällen ermittelt wird, eher wegen Bandendelikten oder Gewerbsmäßigkeit. Einer empirischen Untersuchung zufolge (Kinzig, 2004) gab in den 52 untersuchten Fällen, die in einem bestimmten Zeitraum als OK-Fälle behandelt worden waren, überhaupt nur eine Anklage nach § 129 StGB.

Es kam, wie es kommen musste: Die Änderung des § 129 StGB, der zum Zeitpunkt der gesetzlichen Änderung in der Strafrechtswirklichkeit ganz klar ein Staatsschutzparagraph war, wurde von denjenigen bemerkt und aufgenommen, die ihn bereits anwendeten. Und das waren nicht die OK-Abteilungen der Staatsanwaltschaften. Vielmehr war es – wie wir daran sehen, dass wir hier sitzen – der Generalbundesanwalt, der in der gesetzlichen Änderung eine Chance sah, Sachen an sich zu ziehen und Oberlandesgerichten Sachverhalte vorzulegen, die früher ohne weiteres abgewiesen worden wären.

Vom Gesetzgeber war sicher nicht intendiert, dass jetzt über Taten bei Oberlandesgerichten verhandelt wird, die mit einer Unterwanderung und Korrumpierung des Staates durch Akteur:innen des grenzüberschreitenden illegalen Handels überhaupt nichts zu tun haben.

Es ist aber auch dem System des deutschen Strafrechts fern, jetzt wie der Generalbundesanwalt in der Anklage allein aus einer angenommenen gemeinsamen politischen Motivation und der Annahme einer gewissen Koordinationsleistung bei einer nicht rein zufälligen Tatbegehung schon die Merkmale einer Vereinigung nach § 129 Abs. 2 StGB n.F. verwirklicht zu sehen.

Der Generalbundesanwalt beschränkt seine rechtliche Würdigung in Bezug auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung auf drei Absätze, die kaum mehr als eine Seite füllen (S. 120). In diesen drei Absätzen wird die Frage der Erheblichkeit der Taten nicht behandelt. Die Erheblichkeit für das staatliche Gesamtgefüge muss aber vor dem Hintergrund dessen, dass die Gesetzesänderung dazu dienen sollte, Einflussnahme auf den Staat durch kriminelle Organisationen zu verhindern, von entscheidender Bedeutung bei der Auslegung des § 129 StGB n.F. sein.

Diese Leerstelle ist umso offensichtlicher, wenn man berücksichtigt, dass wir von Seiten der Verteidigung bereits vor Anklageerhebung darauf hingewiesen haben, dass der Generalbundesanwalt überhaupt nur zuständig ist, wenn die Sache von besonderer Bedeutung ist, das heißt eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit und/oder ein Angriff auf Verfassungsgrundsätze vorliegt, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Weltöffentlichkeit gefährdet ist, die Strafverfolgung besondere Sachkunde oder besonderen Ermittlungsaufwand erfordert, der nur bei Verfolgung durch die Bundesanwaltschaft als Staatsanwaltschaft des Bundes gegeben ist, und eine besondere Gefährlichkeit der Gruppe eine Verfolgung durch den Generalbundesanwalt erfordert.

Alle Voraussetzungen sind in dem Fall nicht gegeben, dessentwegen wir hier sitzen. Angesichts der genannten Kriterien für die Übernahme eines Falls durch den Generalbundesanwalt würde man vielmehr erwarten, dass hier in Sachen Wirecard oder in dem Fall des sogenannten „Cyberbunkers“ verhandelt wird.

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen nicht übernommen, obwohl der „Wirecard“-Milliardenbetrug das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland schmälert wie kaum ein anderer. Eine besondere Bedeutung wird hier nicht angenommen. Und das, obwohl die Wirecard- Affäre die Bundesrepublik in ihrer Gesamtheit stark erschüttert hat und sogar zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag führte. Die Akteure sind so sehr mit der deutschen Politik mindestens durch ihre Lobbyisten verschränkt, dass es ihnen sogar möglich war, die Bundeskanzlerin für sich einzuspannen, die sich bei einem Besuch in China für die Zustimmung der chinesischen Führung zum Kauf von chinesischen Firmen durch Wirecard einsetzte. Zu diesem Zeitpunkt war Wirecard bereits pleite und einzig auf betrügerischen Lügen aufgebaut. Insgesamt sollen aus kreditgebende Banken und Investoren um über drei Milliarden Euro geprellt worden sein. Eine Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschlands im Ausland liegt auf der Hand, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist schwer beschädigt.

Gleichwohl: Nicht nur hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nicht an sich gezogen, sondern es wird auch nicht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt, sondern nur wegen „bandenmäßigem Betrugs“.

Ein anderer Fall, in dem es nahe gelegen hätte, dass der Generalbundesanwalt sich des Falls annimmt, wäre der so genannte „Cyberbunker-Prozess“ gewesen, in dem es um eine internationale Plattform für alle möglichen Varianten strafbewährter Geschäfte bis hin zu Waffenhandel und Kinderpornografie geht. Hier wirft die Staatsanwaltschaft den insgesamt acht Angeklagten neben Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Beihilfe zu rund 250.000 Straftaten vor, darunter millionenschwere Drogendeals, Datenhehlerei, Computerangriffe sowie Falschgeld- und Waffengeschäfte. Der Generalbundesanwalt maß auch diesem Fall keine besondere Bedeutung bei. Verhandelt wird er vor dem Landgericht Trier und nicht etwa vor dem OLG Koblenz.

Wieso sollen die hier angeklagten Taten im Vergleich damit eine besondere Bedeutung haben? Es geht um nichts anderes als Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der jeweils betroffenen Personen. Die Anklage nimmt in ihrem Teil, mit dem die Zuständigkeit des OLG begründet werden soll, die Ermittlungsthese, dass angegriffenen Personen gezielt ausgewählt worden sein sollen, weil sie dem rechten Spektrum (teilweise dem gewalttätigen rechten Spektrum) zuzuordnen sind, als Ausgangspunkt für die Bewertung, dass der jeweilige Angriff auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ein Angriff auf einen Grundpfeiler des demokratischen Rechtstaats sein soll.

Die Anklage konstruiert diese Hochstufung vom Angriff auf ein privates Rechtsgut zum Angriff auf den Staat als solchen mit der These, dass die Taten Auswirkungen auf die innere Sicherheit hätten haben sollen. Dass durch die Einzeltaten eine gesellschaftliche Radikalisierung vorangetrieben werden sollte. Dass einer Eskalation der politischen Auseinandersetzung Vorschub hätte geleistet werden sollen.

Dass mit den Taten solche Ziele verfolgt worden sein sollen, findet keinen Rückhalt in den Ermittlungsergebnissen und liegt auch tatsächlich fern. Angesichts der in den letzten Jahren immer wieder medienwirksam aufgedeckten Netzwerke von extrem Rechten außerhalb, aber auch innerhalb der Sicherheitsorgane und der Bundeswehr (Stichworte Nordkreuz, Hannibal etc.), inklusive Führen von Todeslisten und Vorbereitungen auf den „Tag X“ pp., scheint es absurd, den Grund für eine Eskalation der politischen Auseinandersetzung in der Existenz einer behaupteten antifaschistischen Vereinigung zu sehen, die Körperverletzungsdelikte gegen einzelne Neonazi-Kader und andere Personen aus der rechten Szene begeht.

Selbst wenn man annähme, dass die Taten das Ziel oder auch nur den tatsächlichen Effekt gehabt hätten, dass sich eine gesellschaftliche Polarisierung im regionalen Umfeld der Taten verstärkt oder sich die politische Auseinandersetzung verhärtet hätte, kann das noch keine besondere Bedeutung der Sache begründen. Denn eine derartige Veränderung würde keinen Angriff auf den Gesamtstaat darstellen. Es handelte sich hier um einzelne Auseinandersetzungen. Selbst wenn zwischen den konkret Beteiligten das politische Klima vergiftet und keine Kommunikation mehr möglich ist, stellt dies nur ein Einzelphänomen dar und keine Gefahr für den gesamtstaatlichen politischen Diskurs.

Die Darstellung der Vorwürfe in der Anklage des Generalbundesanwalts rechtfertigt mithin, selbst wenn man seine These von einer angeblich bezweckten Eskalation der politischen Auseinandersetzung als richtig unterstellt, weder die Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt noch die Anklage zum Oberlandesgericht.
Dass aber das Oberlandesgericht sich offenbar zunächst für berufen erachtet, über die Vorwürfe zu verhandeln, hat weitreichende Konsequenzen für unsere Mandanten und Mandantin.

Durch die Sonderzuständigkeit des Staatsschutzsenates wird ihnen der reguläre gesetzliche Richter entzogen. Insbesondere die Tatsache, dass sie sich einem Gericht gegenüber sehen, das mit fünf Berufsrichter:innen besetzt ist und vollkommen auf die Mitwirkung von Schöff:innen verzichtet, ist als eine die Angeklagten beschwerende Tatsache zu sehen.

Nicht nur, dass die Beteiligung von Schöff:innen an der Rechtsprechung ein direkter Ausfluss eines demokratischen Rechtsstaats ist, haben sie auch die Funktion der Kontrolle der Gerichte. Sie sind nicht in den Justizapparat eingebunden und haben nicht an gerichtlichen Vorentscheidungen mitgewirkt. Konkret laufen sie also nicht Gefahr sich durch eine Vorbefassung, z.B. Eröffnung des Verfahrens schon festgelegt zu haben. Sie haben keine Aktenkenntnis und urteilen aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Darüber hinaus werden sie weder durch Beurteilung, Beförderung oder kollegiale Erwartungshaltung beeinflusst. Ihre Mitwirkung stärkt demnach die Unabhängigkeit der Gerichte.

Noch schwerer wiegt, dass mit der Verhandlung der Sache beim Oberlandesgericht eine besondere Bedeutung und besondere Gefährlichkeit der Angeklagten impliziert wird. Das zeigt sich bereits daran, dass wir in einem Hochsicherheitsgebäude verhandeln müssen, der für Terrorismusverfahren gebaut worden ist. Der Öffentlichkeit ist der Unterschied zwischen § 129 und § 129 a StGB nicht geläufig, die dem Verfahren vorgehende reißerische Medienberichterstattung zeigt es. Die Art des Verfahrens bringt die angeklagten Taten in die Nähe von Terrorismus und führt in der Öffentlichkeit zu so fatalen Gleichsetzungen mit dem mörderischen NSU.

In der Intention, dazu beitragen zu können, dass in diesem Verfahren die unheilvolle Gemengelage aufgelöst wird, die sich aus einer mit heißer Nadel gestrickten, dem System der deutschen Strafrechtsnormen fremden Gesetzesnovelle und deren experimentellen Ausnutzung durch den Generalbundesanwalt, aus einseitigen Interpretationen und Zirkelschlüssen der Ermittlungsbehörden, aus von politischen Interessen geleiteter Ermittlungsarbeit der regionalen Polizeibehörden, aus Aussagen von jedenfalls teilweise auch aus politischen Gründen an einer Verurteilung interessierten Geschädigten und nicht zuletzt aus an reißerischer Bildsprache und Überzeichnungen interessierter Presse, an die bereits sehr frühzeitig eine Vielzahl von Details aus den Ermittlungen weitergegeben wurde, ergeben hat und in der die Angeklagten derzeit verfangen sind, bleibt uns zu dem Vorwurf „kriminelle Vereinigung“ vorab nur zu wiederholen, was wir bereits im Zwischenverfahren geäußert haben (Schreiben vom 11. Juli 2021, S. 19):

Der Generalbundesanwalt kann keinerlei Belege dafür vorlegen, dass über die Begehung einzelner Taten hinaus eine Vereinigung in Form einer bleibenden Struktur mit einem sei es noch so losen „Verbandsleben“ bestanden hat. Vielmehr wird in der Anklage versucht, anhand mancher Charakteristika der Einzeltaten, vor allem aber anhand eines Sammelsuriums von Einzelpunkten zu Arbeitsverhältnissen, Freundschaften, Studieninhalten, politischen Einstellungen pp ein Bild einer Vereinigung im Sinne des § 129 StGB zu erschaffen – ein Bild, das bei näherer Betrachtung der einzelnen aufgeführten Aspekte aber schnell in sich zusammenfällt.

Block 2:

Die Konstruktion in der von der Bundesanwaltschaft soeben verlesenen Anklageschriften mit mittlerweile neun Einzeltaten beinhaltet unter Ziffer 1., und somit an erster, und nominell wichtigster, Stelle der Anklageschrift den Vorwurf nach § 129 StGB, die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Allerdings liegt der eigentliche Schwerpunkt der Anklageschrift in der Darstellung einer Reihe von Körperverletzungsdelikten zum Nachteil von verschiedenen Angehörigen der sog. rechtsextremen Szene. Die – nach Ansicht der Bundesanwaltschaft – angebliche Gleichartigkeit der Taten soll belegen, dass sie nicht durch einzelne Täter:innen, sondern im Rahmen einer „Vereinigung“ im Sinne des § 129 StGB begangen worden sein sollen.

Bei näherer Betrachtung erscheint jedoch die Zusammenstellung dieser Körperverletzungsdelikte beliebig:

Die Tatorte unterscheiden sich: Wurzen, Leipzig, Eisenach. Die Betroffenen sind teilweise rechte Kader, teilweise nicht organisierte Rechte. Die Abläufe sind ebenfalls unterschiedlich: Es sind an den Taten jeweils unterschiedlich viele Personen beteiligt, die zu den Taten jeweils auf unterschiedliche Weise vor Ort gelangen, die Orte sind unterschiedlich öffentlich, mal sollen laut Anklage Werkzeuge mitgebracht worden sein, mal nicht.

Gleichwohl sollen diese Einzeltaten laut Bundesanwaltschaft durch die Begehung durch eine angebliche kriminelle Vereinigung miteinander verbunden sein beziehungsweise sogar diese ausmachen.

Eine Vereinigung freilich, die keiner kennt. Von ihr ist kein Name bekannt, kein Ort, an dem sie sich trifft, keine Zeiten, zu denen sie sich trifft, Kommunikation der Vereinigung untereinander ist nicht bekannt, Kommunikation der Vereinigung nach außen ist nicht bekannt. Auch Schreiben, in denen Motive und Beweggründe der Vereinigung erläutert werden, sind nicht bekannt.

Die Bundesanwaltschaft muss in der Anklageschrift einräumen – ich zitiere wörtlich: „Das genaue Datum der Gründung der Vereinigung, deren Umstände und die daran beteiligten Personen sind nicht bekannt“ (S. 9 der Anklageschrift).

Die Bundesanwaltschaft hat tausende vonseiten an Ermittlungsakten zusammen getragen. Doch Band 2 der Ermittlungsakte, welcher den Namen „Organisation“ trägt, also in welchem Belege für die angebliche Vereinigung gesammelt werden sollen, ist seit Anfang der Ermittlungen leer – und er ist es bis heute noch.

Eine willkürliche Zusammenstellung von Körperverletzungsdelikten gegen Nazis, verbunden mit einer § 129 StGB-Ermittlung – solche Methoden sind vonseiten der sächsischen Strafverfolgungsorgane nicht erst aktuell, sondern bereits seit vielen Jahren bekannt. Beispielhaft seien hier die erfolglosen Ermittlungen u.a. gegen Dresden-Nazifrei, gegen die sog. „Antifa-Sportgruppe“, gegen Pfarrer Lothar König und gegen Teile der Fan-Szene von BSG Chemie Leipzig genannt. Meine Kollegin wird dazu gleich noch weitere Ausführungen machen.

Wie mein:e Vorredner:in sagte: Die Bundesanwaltschaft möchte mit diesem Verfahren ausloten, wie weit die jüngste Gesetzesänderung des § 129 StGB trägt. Vor dem Hintergrund, dass diese Gesetzesänderung mit Blick auf die Organisierte Kriminalität und nicht mit Blick auf den Staatsschutz zustande gekommen ist, ist – wie ebenfalls bereits gesagt – nicht jede Tat, bei der nicht rein zufällig mehrere beteiligt sind, gleich als Vereinigungsdelikt zu werten. Es sind nach wie vor gewisse Mindestvoraussetzungen für die Annahme einer kriminellen Vereinigung einzuhalten.

Nach Ansicht der Verteidigung sind diese Mindestvoraussetzungen nicht gegeben. Es sei noch mal auf den leeren Band 2 – „Organisation“ – der Ermittlungsakte und die erfolglosen Bemühungen der Bundesanwaltschaft verwiesen, Datum der Gründung der angeblichen Vereinigung, deren Umstände und deren Mitglieder nachzuweisen.

Nun sind die Ermittlungen abgeschlossen, die Anklageschrift ist zugelassen und zwei wöchentliche Hauptverhandlungstermine für die nächsten sechs Monate sind bestimmt. Nicht mehr die Bundesanwaltschaft ist die Herrin des Verfahrens, sondern der Strafsenat des OLG Dresden. Und dieser hat bereits mitgeteilt, womit er sich die nächsten Wochen befassen möchte:

Blickt man auf den Ladungsplan der kommenden Hauptverhandlungstermine, so fällt auf, dass die geplante Beweisaufnahme ab heute nacheinander die einzelnen Körperverletzungstaten behandeln soll. Ein Tatkomplex „Vereinigung“ findet sich im bisherigen Ladungsplan nicht – damit wird sich der Strafsenat auf Wochen hinaus nicht beschäftigen.

Wieso? Wieso wiederholt das Gericht den – in Anführungszeichen – Konstruktionsfehler des Ermittlungsverfahrens und verschiebt die Beweisaufnahme zur Vereinigung bis auf weiteres?

Eine solche Vorgehensweise ist inhaltlich falsch. § 129 StGB ist die inhaltliche Klammer, welche die Bundesanwaltschaft braucht, um die willkürliche Zusammenstellung von Einzeltaten zu verbinden. § 129 StGB ist der allgemeine Teil, die Einzeltaten sind der besondere Teil. § 129 StGB ist der Grund, warum wir heute überhaupt hier vor dem OLG verhandeln. Würde es nicht um § 129 StGB gehen, so könnten die Einzeltaten vor den Schöffengerichten der Amtsgerichte verhandelt werden.
Das wäre auch für meinen Mandanten der richtige Weg, denn ihm wird neben § 129 StGB nur eine Einzeltat vorgeworfen.

Ich habe den Konstruktionsfehler des Ermittlungsverfahrens in Anführungszeichen gesetzt. Natürlich handelt es sich dabei nicht um einen Fehler, welcher aus Unachtsamkeit unterlaufen ist, sondern um eine bewusste Entscheidung. Die Bundesanwaltschaft hat nicht genügend Beweise für eine Vereinigung – und das weiß sie auch.

Deshalb legt sie den Schwerpunkt auf die Einzeltaten. Ein Körperverletzungsdelikt zum Nachteil eines Nazis wird an das nächste Körperverletzungsdelikt zum Nachteil eines anderen Nazis gereiht. Die Bundesanwaltschaft hofft darauf, dass so die Unterschiede zwischen den ausgewählten Einzeltaten verschwimmen, so lange nur genug Taten in der Anklageschrift aneinander gefügt werden. Vorliegend ist die Anklageschrift nicht das Endergebnis der Ermittlungen, sondern scheint schon vorher da gewesen zu sein – zu Beginn der Ermittlungen. Als Wunsch der Bundesanwaltschaft, ein erfolgreiches § 129 StGB-Verfahren gegen Links zu führen. Die Anklageschrift soll zur Sich-Selbst-Erfüllenden-Prophezeiung werden. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Mit diesem Ladungsplan, mit dieser Gestaltung der ersten Verhandlungswochen, welche letztlich eine Übernahme der Vorgaben der Bundesanwaltschaft ist, hat das Gericht einer ergebnisoffenen Beweisaufnahme keinen Dienst erwiesen. Eine ergebnisoffene Beweisaufnahme ist aber die Grundlage eines fairen Verfahrens. Diese Grundlage ist bereits am ersten Verhandlungstag schwer beschädigt. Es bleibt abzuwarten, ob sich das Gericht, im Laufe des Verfahrens noch von den Vorgaben der Bundesanwaltschaft wird befreien können. Stand jetzt, so befürchte ich, ist ein faires Verfahren nicht zu erwarten.

Block 3:

Von Anfang an wurden die Ermittlungen sehr einseitig betrieben, nicht nur in Bezug auf die Wertung, ob eine kriminelle Vereinigung vorliegt, sondern auch in Bezug auf die Art der Ermittlungen. Einseitiges Schlussfolgern und einseitiges Interpretieren zog und zieht sich wie ein roter Faden durch das Verfahren. Besonders deutlich wird das bei der Interpretation und Wertung von abgehörten Gesprächen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Beweisführung der Anklage beruht auf eben diesen abgehörten Gesprächen. Diese Gespräche wurden im Rahmen einer in einem anderen Verfahren angeordneten Maßnahme einer Innenraumüberwachung in einem Auto aufgenommen, welches unserem Mandanten zugeordnet wird.

Der Verdacht, der in diesem anderen Verfahren durch die Ermittlungen aufgeklärt werden sollte, war von Anfang an vage und wurde auch durch die dort eingesetzten verschiedensten und jeweils vielfach verlängerten Übermachungsmaßnahmen nicht erhärtet. Im Rahmen des anderen Verfahren gewann das BKA, indem es über Monate hinweg jedes im und um den PKW unseres Mandanten herum gesprochene Gespräch abhörte, aufzeichnete und akribisch auswertete, umfassende Erkenntnisse vor allem über die Privatsphäre der Betroffenen und teilweise über auch über deren politische Einstellung, nicht aber über strafrechtlich relevantes Verhalten.

Eine Rechtfertigung für diese Maßnahme gegen unseren Mandanten, die einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, war in diesem anderen Ermittlungsverfahren, in dem sie angeordnet und durchgeführt wurde, in keiner Weise erkennbar. Ganze vier Jahre intensiver Ermittlungsarbeit des Bundeskriminalamtes und mehrerer Landeskriminalämter haben in diesem anderen Verfahren nichts Nennenswertes zutage gefördert.

Vor diesem Hintergrund sind die einseitigen und teilweise offen widersprüchlichen Interpretationen und Wertungen der einzelnen aufgezeichneten Gespräche zu sehen, die Aufnahme in die hiesige Anklage gefunden haben, um im hiesigen Verfahren einen erneut auf überaus vagen Verdächtigungen basierenden Vorwurf gegen unseren Mandanten zu konstruieren. Ausführlich wurde durch die Verteidigung auf diese Widersprüche und einseitigen Interpretationen schon im Zwischenverfahren hingewiesen.

Nur beispielhaft sei das daher an dieser Stelle erneut am Fall Wurzen (Tat 8 der Anklage) dargestellt. Die Bundesanwaltschaft behauptet, zwei der Angeklagten, darunter unser Mandant, seien an dem Angriff beteiligt gewesen und hätten dadurch eine gemeinschaftlich gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit besonders schwerem Landfriedensbruch begangen. Gestützt hat sie diese Annahme der Täterschaft ausschließlich auf eines der im PKW aufgezeichneten Gespräche. Dieses soll am Morgen des Tattages, 9 Stunden vor der Tat, im PKW des unseres Mandanten geführt worden sein.

Allerdings liefert der Inhalt des am Morgen des 15.02.2020 in Leipzig geführten Gesprächs keinerlei konkreten Hinweis oder Bezug zu einem abendlichen Angriff am Bahnhof des 30 km entfernt liegenden Wurzen. Die Bewertung des Gesprächs durch die Bundesanwaltschaft ist einseitig und zudem an zentraler Stelle widersprüchlich. Eine Gesprächspassage, in der es heißt, „wir sind zu zweit“, spricht sogar ganz eindeutig gegen eine Beteiligung an dem Angriff, der von 15 bis 20 Personen ausgeführt worden seien soll. Zudem ist von Bezugsgruppen die Rede, was eine geplante Teilnahme an einer Demonstration wesentlich wahrscheinlicher macht, als dass es auf einen geplanten Angriff hindeutet.

Das Gericht ist dieser schlicht als abenteuerlich zu bezeichnenden Wertung der Bundesanwaltschaft dann auch nicht gefolgt. Allerdings hat es mit einer anderen – noch abenteuerlicheren – Wertung des Gesprächs die Anklage gegen die beiden Angeklagten nicht wegen Täterschaft, sondern wegen psychischer Beihilfe an dem Angriff in Wurzen zugelassen.
Wörtlich hat das OLG in dem Eröffnungsbeschluss hierzu ausgeführt:

„Die Gesprächsinhalte begründen allerdings den hinreichenden Verdacht, dass beide sich zur Mitwirkung an einem entsprechenden Angriff bereit erklärt haben und diesen auch durch ihre tatsächliche Teilnahme fördern wollten und sie – wie die übrigen im Vorfeld Beteiligten – bei ihrer Abfahrt nach Dresden davon ausgingen, dass bei dem von einer Vielzahl von Personen gegebenenfalls, hinterlistig zu führenden Angriff durch ggf. auch das Leben gefährdenden Einsatz von Schlagwerkzeugen den Opfern erhebliche Verletzungen beigebracht werden sollten. Es besteht der hinreichende Verdacht, dass ihnen bewusst war, dass sie durch ihre eigene, auch in den beschriebenen Vorbereitungen konkretisierte Bereitschaft, an der Tat mitzuwirken, den Entschluss der übrigen Personen, diese auszuführen, bestärkten und so die spätere Tat förderten.“

Wer sich diesen Absatz durchliest und sich dann das mitgeschnittene Gespräch anhört, wird mit Erstaunen feststellen, dass es an jeglichen tatsächlichen Bezügen für die Behauptungen des Gerichts fehlt. An keiner Stelle spricht eine Person davon, sich zur Mitwirkung an körperlichen Angriffen bereit zu erklären. An keiner Stelle ist von Dresden die Rede, ebenso wenig ist von Wurzen die Rede. Überhaupt ist von keinem bevorstehenden geplanten körperlichen Angriff die Rede. Es ist auch von keiner Vielzahl von Personen und geschweige denn von Schlagwerkzeugen die Rede. Es bleibt außerdem völlig unklar, welchen „übrigen im Vorfeld Beteiligten“ gegenüber Beihilfe geleistet worden seien soll.

Eine derartig einseitige, einer tatsächlichen Grundlage entbehrende, ausschließlich zu Lasten der Angeklagten vorgenommene Auslegung und Wertung der Beweise stellt die Unschuldsvermutung und den Grundsatz von in dubio pro reo auf den Kopf. Offenbar kann eine ernst gemeinte Verteidigung gar nicht oft genug auf diese im Grunde als selbstverständlich vorauszusetzenden fundamentalen Grundsätze eines fairen Strafprozesses hinweisen.

Block 4:

Der Verteidigung kommt das Vorgehen des Generalbundesanwalts im hiesigen Verfahren nicht unbekannt vor. Im Gegenteil – in Sachsen sind Verteidiger:innen seit Jahren mit solchen Konstrukten konfrontiert. Die Konstruktion aus verschiedenen Körperverletzungsdelikten mit mehrere Beteiligten gegen Angehörige der rechten Szene und verschiedenen nachweisbaren Kontakten zwischen einzelnen Personen, für deren Beteiligung an solchen Taten es mehr oder weniger überzeugende beziehungsweise wie meine Vorrednerin gerade geschildert hat, in vielen Fällen auch sehr konstruierte Verdachtsmomente gab, das Bestehen einer „Vereinigung“ abzuleiten, liegt jedenfalls einer der Landespolizeibehörden nicht fern, dem sächsischen LKA. Dasselbe LKA, das wegen einiger mit der Anklage vorgeworfenen Einzeltaten vor dem Generalbundesanwalt zunächst die Ermittlungen führte und auch jetzt vom Generalbundesanwalt wieder mit den Ermittlungen betraut worden ist.

Seit 2009 werden in Sachsen durchgängig Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB gegen linke Aktivist:innen geführt. Alle dieser Verfahren wurden nach jahrelangen Ermittlungen und massiven Eingriffen in die Privatsphäre von Betroffenen und Drittbetroffenen, darunter auch eine Vielzahl von Berufsgeheimnisträger:innen gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Diese Strukturermittlungsverfahren bestanden regelmäßig aus einem Sammelsurium ungeklärter Fälle von Körperverletzungshandlungen gegen Neonazis, welche verschiedenen Beschuldigten als vermeintlichen Mitgliedern einer unbekannten Gruppierung zugeschrieben werden sollten. Die dahingehenden Bemühungen der Ermittlungsbehörden blieben trotz millionenfach erhobener Verkehrs- und Bestandsdaten, unzähligen abgehörten Telefonaten, Observationen und Hausdurchsuchungen ergebnislos. Die gesuchte kriminelle Vereinigung gab es nicht.

Im November 2019 erfolgte unter erheblicher medialer Aufmerksamkeit – mitten im Wahlkampf um die Wahl des Oberbürgermeisters von Leipzig – die Gründung der auch im hiesigen Verfahren vor dem Generalbundesanwalt Teile der Ermittlungen führenden SoKo LinX unter dem Motto, dem Linksextremismus in Sachsen den Kampf anzusagen. Bereits die Namenswahl – die Schreibweise mit dem großen X ist offensichtlich von dem Leipziger Abgeordnetenbüro LinXXnet entlehnt – markiert das Auftreten der Polizei als politischer Gegner und Akteur gegen die linke Zivilgesellschaft.
Die Ermittlungen der SoKo LinX wurden von Anfang an unter hohem Erfolgsdruck, teilweise mit rechtswidrigen Mitteln und fragwürdigen Allianzen geführt.

Bereits der erste gefeierte Erfolg der SoKo LinX im September 2020 – die Inhaftierung von zwei einer Brandstiftung verdächtigen Personen aufgrund einer angeblichen Geruchsspur, welche ein Polizeihund erschnüffelt haben sollte, zerrann einige Wochen später mit Aufhebung der Haftbefehle durch das Landgericht Dresden mangels dringenden Tatverdachts.

In der Hoffnung auf Ermittlungserfolge wartet die SoKo mit Fahndungsaufrufen auf, bei denen absurd hohe Belohnungen für Hinweisgeber ausgelobt werden. So wurden durch die Ermittler:innen 90.000,- € für Hinweise zu Körperverletzungen im Rahmen von Silvesterausschreitungen, 80.000,- € für eine Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen, 60.000,- für Brandstiftung an zwei Baufahrzeugen, sowie weitere 100.000,- € für Hinweise zu einer gefährlichen Körperverletzung und einer weiteren Brandstiftung ausgesetzt. Für Hinweise zu Tätern bislang ungeklärter Mordfälle werden üblicherweise nur Belohnungen von 5.000,- € bis 10.000,- € ausgelobt. Auch dieses krasse Missverhältnis verdeutlicht den enormen Eifer, zählbare Ermittlungserfolge zu generieren.

Von 355 eingeleiteten Ermittlungsverfahren hat die SoKo LinX im ersten Halbjahr 2020 nur 96 abgeschlossen. Hier sei bemerkt, dass die SoKo LinX keineswegs nur ein bestimmtes Deliktsfeld bearbeitet. Eine Vielzahl ihrer Ermittlungsverfahren betrifft Bagatelldelikte wie Sachbeschädigungen oder Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

Im Kontext des hiesigen Staatsschutzverfahrens ist besonders erwähnenswert, dass die Ermittler:innen der SoKo LinX auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Szene zurückschrecken.

Ein Beispiel für diese fragwürdige Kooperation ist, dass die Zeugin Kunze von den Ermittlern zu einem von ihr in Zusammenarbeit mit einem befreundeten Neonazi erstellte Dossier zu ausgesuchten politischen Gegnern der Hinweisgeberin befragt und das Dossier als solches zur Akte genommen wurde. Die 14-seitige Bilder- und Informationssammlung der Kunze beruht nach ihren eigenen Angaben auf einer illegaler Aktenweitergabe von staatsanwaltschaftlichen Verfahrensakten durch einen befreundeten Neonazi und wurde durch sie erstellt, indem sie eine dort aktenkundige private Handynummer ausspähte und nach Informationen zu dieser in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten suchte.

Ob dieses Dossier, nachdem es vorgelegt wurde, zur Akte hätte genommen werden sollen, mag dahinstehen – es blieb aber nicht in der Akte, zu der es gereicht wurde, sondern wurde durch die Ermittler:innen anschließend in weiteren Ermittlungsverfahren herangezogen und zur Polizeiarbeit verwendet. Eine weitere Aufklärung über diese Sachverhalte wird durch das LKA verweigert. Eine rechtsstaatliche Begründung für diese Arbeitsweise gibt es nicht.

Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz hat dazu klare Worte gefunden, denen wir uns hier nur anschließen können: „Was hier läuft, grenzt an Kumpanei und hat aus meiner Sicht mit professioneller kriminalpolizeilicher Arbeit nichts mehr zu tun.“

Auch ihr Kollege Valentin Lippmann lehnt derartige Methoden klar ab und äußerte: „Sollte die SoKo LinX derartige Informationen ohne weitere Ermittlungen und Überprüfungen in Ermittlungsverfahren verwenden, wäre dies nicht nur fachlich bedenklich, sondern auch mit Blick auf die politische Brisanz ein weiterer Beleg für mehr als fragwürdige Arbeitsmethoden dieser SoKo“.

Der Zeuge Enrico Böhm hat vor dem Landgericht Leipzig seinerseits eidesstattlich versichert, verfahrensrelevante Informationen von einem Beamten des LKA erhalten zu haben. Ein weiterer Hinweis darauf, dass rechtsradikale Neonazis in die Ermittlungen der SoKo LinX eingebunden sind.

Dass die SoKo LinX auch von politischen Interessen geleitet agiert und ihre Schlussfolgerungen daher oftmals einseitig – im Sinne eines Gesinnungsstrafrechts – vorverurteilend sind, spiegelt sich auch darin wider, wie schnell es passiert, dass die SoKo LinX Personen verdächtigt. In dem Fall der Körperverletzungshandlungen in Wurzen (Fall 8 der hiesigen Anklage) kam es dazu, dass die SoKo LinX zwei weitere Personen verdächtigte – allein weil diese zwei Personen von einem Tatverdächtigen drei Stunden nach der Tat telefonisch kontaktiert worden sein sollen. Die Verdachtsvermutung der Ermittlungsbeamten stützte sich dabei allein auf eine mutmaßlich linke Einstellung der angerufenen Personen. Die Rechtswidrigkeit der hiernach stattgefunden stundenlangen Hausdurchsuchungen in den privaten Wohnungen der Angerufenen ist mittlerweile auch gerichtlich bestätigt (vgl. LG Leipzig, Beschl. vom 23.10.2020, Az 13 Qs 49/20 und 13 Qs 56/20).

Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Verfahren ein äußerst vorsichtiger Umgang mit den Ermittlungsergebnissen des LKA Sachsen beziehungsweise der SoKo LinX wie auch von den dieser Polizei angehörigen Beamten gezogenen einseitigen Schlussfolgerungen geboten.

Für die Verteidigung wird von Bedeutung sein, die Genese der These von der angeblichen Vereinigung in der Anklage anhand solcher von politischen Voreinstellungen beeinflussten Schlussfolgerungen der SoKo LinX deutlich zu machen.

Bock 5:

An meine Vorrednerin anschließend muss ich damit beginnen, dass im bisherigen Verfahren der begründete Eindruck entstanden ist, dass es dem LKA Sachsen nicht nur darum geht, seine gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben im Ermittlungsverfahren wahrzunehmen, nämlich Straftaten zu erforschen. Nein, das Landeskriminalamt Sachsen beziehungsweise einzelne mit den Ermittlungen betraute Beamte haben sich zugleich vorgenommen, auch außerhalb des gesetzlich Zulässigen tätig zu werden.

Die Verteidigung bezieht sich dabei auf das bereits angesprochene Problem, dass während des gesamten Ermittlungsverfahrens fortwährend Inhalte der Ermittlungen über die Presse der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden.

Keine Frage: Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind zu gewährleisten. Das bedeutet aber nicht, dass Inhalte der Ermittlungen – und diese umfassen insbesondere bei einem derart umfangreichen Ermittlungsverfahren auch private, intime, höchstpersönliche Daten – durch Polizeibeamte umfangreich an die Presse weitergeleitet werden.
Teilweise fanden sich wörtliche Zitate aus den Ermittlungsakten in Artikeln.

Auch unser Mandant war davon betroffen. Nach der Hausdurchsuchung bei ihm erschien in der Zeitung „Welt am Sonntag“ ein Artikel mit dem Titel „Extrem Links“. In diesem Artikel wurden sowohl Vorname, abgekürzter Nachname, Alter, Wohnort, Straße, Wohnverhältnisse, Details des Ablaufs der Durchsuchung am 05. November 2020 und Details der Ermittlungen gegen ihn genannt. Zusätzlich wurde wörtlich aus einem Protokoll der Polizei zitiert, das der Verteidigung selbst gar nicht bekannt war und auch weiterhin nicht bekannt ist. Die in dem Artikel genannten Details waren nur mit Kenntnis der Ermittlungsakten erklärbar. Zudem wurde im Artikel selbst angegeben, dass der Zeitung die schriftliche Zusammenfassung des Einsatzes vorliegt.

Die Verteidigung hat daraufhin bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige und Strafantrag gegen Unbekannt gestellt. Zudem wurde um Aufklärung gebeten, wie fortlaufend detaillierte Informationen und personenbezogene Daten aus den Ermittlungsakten den berechtigten Personenkreis verlassen können. Es wurde insbesondere um Mitteilung gebeten, wie die Bundesanwaltschaft gedenkt, zukünftig die personenbezogenen Daten unseres Mandanten zu schützen.

Die Bundesanwaltschaft selbst sah sich nicht veranlasst, irgendeine Art von Aufklärung zu unternehmen. Hinsichtlich der Strafanzeige gab sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Berlin ab, die nach drei Tagen das Verfahren ohne Weiteres mit der Mitteilung einstellte, ein Täter sei nicht zu ermitteln.

Im Gegenteil wurden auch danach weiter ungeniert Ermittlungsakten insbesondere an das rechte Blatt „Compact“ weitergereicht, welches diese veröffentlichte. Darunter waren Bilder von Beschuldigten, persönliche Informationen und Angaben, die selbst den jeweiligen Verteidiger:innen nicht zugänglich gemacht worden waren.

Mehrmals und eindringlich hat die Verteidigung darauf aufmerksam gemacht, Strafanzeigen gestellt und Aufklärung angemahnt. Passiert ist: nichts.

Dabei ist überaus wahrscheinlich, dass diese Art der Einflussnahme auf die Öffentlichkeit durch gezieltes Lancieren von Mitarbeiter:innen des Landeskriminalamtes erfolgt sein dürfte. Mittlerweile ist auch die Staatsanwaltschaft Leipzig mit dieser Problematik befasst. Hintergrund ist, dass unmittelbar nach einer Hausdurchsuchung in Leipzig-Connewitz umfängliche Informationen über einen Betroffenen wiederum an das Compact-Magazin weitergeleitet wurden und Dokumente und Unterlagen aus laufenden Ermittlungen weitergereicht wurden.

Das Verhalten des Landeskriminalamtes Sachsen im vorliegenden Verfahren hat einzig die Bundesanwaltschaft zu verantworten. Sie ist die Herrin des Ermittlungsverfahrens und muss dafür sorgen, dass das Ermittlungsverfahren rechtsstaatlich abläuft und sich ihre Ermittlungspersonen rechtsstaatlich verhalten.

Es drängt sich für die Verteidigung der Eindruck auf, dass das Interesse der Bundesanwaltschaft nach einem in Gänze rechtsstaatlichen Verfahren nicht durchgehend vorhanden ist. Es wird in diesem Prozess daher genau zu prüfen sein, wie Ermittlungsergebnisse zustande gekommen sind und welche Motivation einzelne Ermittlungsbeamte zu ihren Schlüssen geführt haben. Zu hinterfragen ist auch der Einfluss der Presseberichterstattung auf Zeugen. Es liegt nahe, dass manche Aussage auf Presseberichten über durchgestochene Akteninhalte beruht: So berief sich zum Beispiel Leon Ringl bei seiner Vernehmung am 19. Februar 2021 auf einen Zeitungsbericht der Welt.

Wir als Verteidigerinnen und Verteidiger fordern, dass in diesem Verfahren sachfremde Einflüsse keine Rolle spielen dürfen, seien es die von der Presse gezeichneten einprägsamen Bilder, sei es der politische Verfolgungseifer von bestimmten Ermittlungsbehörden oder bestimmten Zeugen, oder seien es Überhöhungen und Fehlinterpretationen zur Rechtfertigung eines einmal erhobenen Vereinigungs-Vorwurfs durch den Generalbundesanwalt.“