EA Dresden: Statement von uns zum Antifa Ost Prozess

You are currently viewing EA Dresden: Statement von uns zum Antifa Ost Prozess
  • Lesedauer:12 min Lesezeit

Auf Anfrage des Gefangenen Info verfasste der EA Dresden im März 2022 einen Beitrag zum Antifa Ost Prozess, welchen wir ebenfalls dokumentieren:

Das Antifa Ost Verfahren

Seit September letzten Jahres sind in Dresden 4 Menschen angeklagt, als Teil einer größeren kriminellen Vereinigung mehrere Angriffe auf Nazis verübt zu haben. Verhandelt wird vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht unter der Leitung des Richters Schlüter-Staats. Am Verurteilungswillen des Gerichtes und der engen Zusammenarbeit mit der Generalbundesanwaltschaft (GBA) konnten bei den bisher 39 Verhandlungstagen wenig Zweifel aufkommen. Möglich geworden ist das Verfahren erst mit einer Neuformulierung des § 129 aus dem Jahr 2017. Diese reiht sich ein in zahlreiche Gesetzesverschärfungen im Namen der Sicherheit, welche der deutsche Staat in den letzten Jahren als Antwort auf Migration, soziale Bewegungen und politischen Protest erlassen hat.

Von der Verteidigung der Meinungsfreiheit für Nazis

In der Tat geht es bei diesen, den vier Angeklagten vorgeworfenen Taten um Aktionen, die »dahin gingen wo es weh tut«. Von 2018 bis 2020 soll eine kriminelle Vereinigung nahmhafte Nazis ausgespäht und dann tätlich angegriffen haben. Das Vorgehen, die GBA nennt es geheimnisvoll den »Modus Operandi«, sei brutal, zielgenau und äußerst gut geplant. Das passt gut zur Erzählung, die Polizei bis Geheimdienste zusammenspinnen, die Leipziger autonome Linke stehe kurz vor der Gründung einer neuen RAF.

Das die Anklage mehr eine politische Erzählung, als eine juristisch haltbare Tatsachenbeschreibung ist, wurde allerdings im Prozess bisher auch deutlich. Mehrere Nazizeugen sind immer wieder der Meinung bei den sonst professionell agierenden Angreifer*innen eine Frau an ihren langen Haaren erkannt zu haben. Jede Frau die irgendwo auftaucht, ist immer genau die eine, die alles koordiniert hat. Außerdem stützt sich die Anklage hauptsächlich auf Gesprächsprotokolle, die mitgeschnitten wurden, als die Angeklagten und andere Personen sich in ihren eigenen Fahrzeugen besprachen. Dabei reichen schon Andeutungen und Gespräche über Kneipenbesuche aus, um die einmal Verdächtigten zu Beschuldigten zu machen.

Eklatantes Beispiel für den Verurteilungswillen um jeden Preis, ist, dass zuletzt bekannt wurde, dass die selbe GBA weitreichende Überwachungsmaßnahmen gegen einen Beschuldigten in einem anderen Verfahren erwirkte. Mit dieser konnte die Verteidigung jüngst beweisen, dass der Angeklagte überhaupt nicht bei der ihm vorgeworfenen Tat dabei gewesen sein konnte. Auch hier machte der Richter deutlich, dass er den Fehler nicht bei der GBA sieht: Man könne ja auch mal was vergessen.

Es sei dahin gestellt, inwiefern die Angeklagten nun wirklich an all den ihnen vorgeworfenen Taten beteiligt waren. Im Verfahren wird deutlich, was Antifaschist*innen in Zukunft droht: allein die politische Diskussion mit Genoss*innen denen später Straftaten angelastet werden, kann als psychische Beihilfe im Rahmen einer kriminellen Vereinigung konstruiert werden. Neue Ermittlungsmethoden sind hingegen bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Die Polizei stützt ihre Ermittlungen auf die bereits bekannten, weitreichenden Befugnisse, die der § 129 mit sich bringt: Observationen, Funkdatenabfragen, Hausdurchsuchungen, Ortung und Verwanzung von Fahrzeugen, Infiltrieren von schlecht gesicherten technischen Geräten.¹ Ob beispielsweise der gerade erst in Anschlag gebrachte Staatstrojaner in dem Verfahren eine Rolle spielten, ist derzeit unbekannt.

Den angegriffenen Nazis wird durch die Anklage hingegen bescheinigt, ein wichtiges Glied der demokratischen Öffentlichkeit zu sein. Ihre Umtriebe, denen Antifaschist*innen die Nähe zum rechten Terrorismus nachgewiesen haben, erscheinen bei der GBA als Ausübung eines Grundrechts, auch wenn das Gericht eifrig bemüht ist, die eigene Abneigung gegen die Zeugen mit Hakenkreuztattoos darzustellen.

Der § 129 StGB

Nun ist es nicht das erste Mal, dass in Sachsen Antifaschist*innen mit dem Schnüffelparagrafen »kriminelle Vereinigung« belangt werden. Seit 2009 verging eigentlich kein Jahr, in dem nicht geschnüffelt, durchsucht und beschattet wurde. Antirepressionsgruppen und Kampagnen haben diese Sächsischen Verhältnisse immer wieder angeprangert.

Schon in der historischen Rückschau wird deutlich: der Paragraf ist ein Kernelement der politischen Repression. Eingeführt im Kaiserreich als Knüppel gegen die Sozialdemokratie, im Nationalsozialismus uferlos benutzt und schließlich in der Bundesrepublik wieder aufgegriffen, um erneut auf die Kommunistische Partei und Rüstungsgegner*innen los zu gehen.² In den 1970er und 1980er Jahren wurde der § 129 StGB mehrfach angepasst und erweitert, um jeweils auf die sich verändernden Strategien linker Bewegungen zu reagieren. Nach 2001 gerieten dann verschärft auch internationale Gruppen in den Fokus der Repression: etwa Islamist*innen, aber vor allem auch die kurdische Arbeiterpartei.

Die Anwendung erfolgte in den letzten Jahren keinesfalls nur gegen linke Gruppierungen. Verurteilt worden sind in Sachsen eigentlich nur rechte Strukturen wie die Skinheads Sächsische Schweiz, die Freie Kameradschaft Dresden oder die Gruppe Freital. Das Steckenpferd des Sächsischen LKAs, die Antifasportgruppe, war nie zu fassen gewesen. Bundesweit sieht das anders aus: gerade die kurdische Bewegung und türkische Linke sehen sich einer massiven Repression durch Prozesse, Ermittlungen und Abschiebungen aufgrund ihres Kampfes gegen den türkischen Staat ausgesetzt. Außerdem gab es gegen die militante gruppe, die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) sowie die Zeitschrift radikal lang anhaltende und teilweise »erfolgreiche« Verfahren. Dennoch galt, dass der § 129 eher der Durchleuchtung linker Strukturen diente, denn der rechtskräftigen Verurteilung.

Mit dem Gesetz zur praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens von 2017 dürfte sich das ändern. Im Rahmen einer europäischen Angleichung sind die Anforderungen für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung derart herab gesetzt worden, dass jede politische Aktion am Rande der Legalität kriminalisierbar ist. Ob eine Straftat von einer kriminellen Vereinigung verübt wird oder nicht, hängt eigentlich nur noch davon ab, ob das mögliche Strafmaß über oder unter drei Jahren liegt. Alles andere ist egal, solange nur eine politische Grundhaltung der Täter*innen denkbar ist. Wenn das aktuelle Antifa-Ost-Verfahren mit einer Verurteilung nach § 129 StGB endet, muss sich die linke Bewegung warm anziehen: zahlreiche Folgeprozesse werden kommen.

Krise, Staat und Repression

Die massive Verschärfung der Sicherheitsgesetzgebung in den letzten Jahren³ – allein 2017 gab es acht neue Gesetze – hat der Exekutive zahlreiche neue Mittel an die Hand gegeben. Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Der globale Kapitalismus stottert: die Finanzkrise 2008 hat erneut das krisenhafte Wesen dieser Wirtschaftsweise vor Augen geführt. Massenweise Verelendung passiert nicht mehr nur im globalen Süden, sondern mittlerweile auch nahe den kapitalistischen Zentren.

Die Antwort des deutschen Kapitals ist eine verheerende Austeritätspolitik: »den Gürtel enger schnallen« ist die Losung seitdem. Griechenland kann nach wie vor als Modellprojekt eines massiven Sozialabbaus und der Privatisierung, einhergehend mit einer repressiven Aufrüstung des Staates gelten. Nicht zufällig wurde im Jahr 2011 der § 129 StGB in die europäischen Nachbarländer exportiert und dort etwa gegen die Klimabewegung auf der Halbinsel Chalkidiki in Anschlag gebracht.

Seit dem Aufkommen der AfD in der BRD wird diese Krisenpolitik von rechts herausgefordert. Keine revolutionäre Alternative präsentiert sich hier, sondern ein alternativer Weg zur Rettung der Profite des deutschen Kapitals. Die europäische Einbindung und die Freihandelspolitik sollen aufgegeben werden, zu Gunsten eines nationalen Protektionismus. Während die erste Variante versucht mit einem Green New Deal ein totes System über die Zeit zu retten, setzt die andere auf den offenen Chauvinismus.

Die Repression des bürgerlichen Staates richtet sich nicht nur gegen Migrant*innen⁴ und Linke sondern auch gegen diese zweite, faschistische Variante der Krisenbekämpfung. Man sollte SPD-Politiker*innen die versuchen mit dem Strafrecht gegen Neo-Nazis vorzugehen durchaus ernst nehmen. Klar ist, dass sie damit die gleiche autoritäre Formierung des Staatsapparates befeuern.

Repression ist immer ein Versuch, die offensichtlichen Widersprüche die der Kapitalismus produziert, zu verdecken. Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus wachsen im Schoße der Ausbeutung und Unterdrückung.⁵ Sie bieten einfache Erklärungen für die andauernden Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft. Das voraus gesetzt, ist Repression immer die falsche Antwort. Die Unsicherheit, die sie zu bekämpfen behauptet, entsteht durch die Produktion von Ungleichheit im Kapitalismus. Dessen Erhalt ist aber die ureigene Aufgabe des Staates. Ein Teufelskreis, den nur eine revolutionäre Umwälzung aufhalten kann.

Antifa, wir müssen reden

Von der ist allerdings wenig zu sehen. Auch an der Antifabewegung ist die autoritäre Formierung der restlichen Gesellschaft nicht vorbei gegangen. Von der Größe bundesweiter Antifavernetzungen der 90er Jahre ist wenig übrig geblieben. Und auch die hatten so einige Probleme mit patriarchalen Machtstrukturen.

Auf der einen Seite feiert die politische Begrenztheit der Twitterantifa ein Hoch nach dem Anderen. Die Antwort auf Nazibanden und Pegidademonstrationen ist der Ruf nach polizeilichem Durchgreifen. Das läuft auf die Aufrüstung der Schreibtischtäter*innen hinaus.

Auf der anderen Seite herrscht ein obskures und den gesellschaftlichen Verhältnissen ohnmächtig gegenüber stehendes Militanzgebaren. Mit Barrikadenromantik, Markenklamottenschick und Kampfsportattitüde wird im eigenen Szenekiez randaliert.⁶ Das ein Teil unserer Szene ein massives Problem mit patriarchaler Männlichkeit hat, die einher geht mit der Einstellung Nazis zu boxen sei wichtiger als Reproduktionsarbeit, ist offenkundig. Das solches Eierschaukeln ganz weit von der Organisation revolutionärer Politik entfernt ist, scheint eine eben so triviale, wie selten verbreitete Einsicht zu sein.

Das wird am Antifa Ost Verfahren leider sehr deutlich. Gewalttäter wie J. Domhöver, die über Jahre hinweg unsere Genoss*innen drangsalieren und angreifen, können sich sicher sein, dass ihr Verhalten im Dienste der größeren Sache gedeckt wird. Alles nicht so schlimm, alles gute Genossen. Für dieses Scheißverhalten wirklich die Konsequenzen zu übernehmen, sich von der »großen Bühne der Weltpolitik« zurück zu ziehen und sich um die solidarische Aufarbeitung zu kümmern, passiert nicht.⁷ Es gibt ja immer noch Steine zu schmeißen und Nazis zu verhauen. Außerdem sind doch eh die blöden Feminist*innen Schuld, die jetzt im Angesicht der Repression Verrat begehen.

All dieses Gebaren gehört auf den Misthaufen. Angesichts einer erstarkenden faschistischen Bewegung und einem heillos kurzsichtigen bürgerlichen Antiextremismus, brauchen wir einen konsequenten radikalen Antifaschismus. Weder sollte der die alltägliche politische Organisierung, theoretische Arbeit und Selbstreflektion gering schätzen, weil sie nicht für die Heldengeschichte in der Kneipe taugen. Noch sollte er sich zu fein sein, dahin zu gehen »wo es weh tut« und Nazis dort zu treffen, wo sie meinen sicher zu sein.

ermittlungsausschuss dresden


¹ Einen immer noch guten Überblick gibt zB die Broschüre »Linke Politik Verteidigen« (http://broschuere129.blogsport.eu/) oder »§ 129 in Leipzig« (https://antirepression.noblogs.org/files/2018/04/Broschuere-%C2%A7129-in-Leipzig_Linke-Poltik-verteidigen_WEB.pdf?customize_changeset_uuid=9f4f2b29-4e5d-4179-a41c-3ada9f364d50&customize_autosaved=on)

² Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch das »andere Deutschland«, die DDR, die kriminelle Vereinigung kannte, in ihrem Jargon die staatsfeindliche Verbindung.

³ https://netzpolitik.org/2017/chronik-des-ueberwachungsstaates/

⁴ Der Kürze des Textes ist es geschuldet, dass wir von der massiven Repression gegen Migrant*innen im Dienste des Nationalstaates, von den Verstrickungen privater und öffentlicher Sicherheitsunternehmen, sowie dem erstarkenden Militarismus nicht schreiben können.

⁵ Diese Verkürzung soll nicht die These vom Haupt- und Nebenwiderspruch neu aufwärmen. Das Patriarchat gab es auch schon vor dem Kapitalismus, genauso wie Antisemitismus. Auf dem Weg in die Moderne haben sie aber ihr Gesicht verändert. Ihre Aufhebung fängt immer hier und heute an und nicht erst nach dem Ende des Kapitalismus.

⁵ Wohl oder übel stehen wir solidarisch mit allen, die das Ziel einer befreiten Gesellschaft teilen und überlassen die Wertung von Aktionen in der alltäglichen Arbeit gerne Schlaueren. Auch halten wir nichts von Pazifismus um seiner selbst Willen. Aber wir halten es so, dass weder der Zweck die Mittel heiligt, noch die Mittel zum Selbstzweck verkommen dürfen.

⁷ Es gibt an dieser Stelle natürlich rühmliche Ausnahmen und im Rahmen der Solidaritätsarbeit haben wir auch schon coole Menschen kennengelernt. Sie bestätigen jedoch leider nur die patriarchale Regel.