Bericht vom 9. Prozesstag – 07.10.2021

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Bericht vom 9. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 07.10.21

Der 9. Prozesstag begann aufgrund der Verspätung eines Prozessbeteiligten etwa eine Stunde später. Geladen waren eine ganze Reihe an Neonazis, die auf dem Nachhauseweg eines sogenannten Trauermarschs anlässig des 75. Jahrestag der Bombardierung Dresdens am Bahnhof in Wurzen angegriffen wurden.Letztlich reichte die Zeit nur für zwei Zeugen, einmal den Nebenkläger Ben Hannes Heller, welcher sich um Kopf und Kragen redete und der etwas souveräner, aber auch widersprüchlich wirkende Mathias („Matscher“) Leder.

Die vier Angeklagten wurden selbstverständlich auch am heutigen Tage im voll besetzten Saal mit Applaus begrüßt. Der Beginn der Verhandlung musste schon am frühen Morgen um ca. eine Stunde nach hinten verschoben werden, da sich ein Prozessbeteiligter verspätete. Nachdem um ca. 10:30 Uhr dann alle Beteiligten, inklusive des 20-jährigen Nebenklägers Ben Hannes Heller, seinem Anwalt Kohlmann und den Rechtsanwälten weiterer Nebenkläger Tripp und Collini, im Raum erschienen, konnte der Verhandlungstag beginnen.

Ohne weitere Umschweife wurde Heller in den Zeugenstand gerufen, um seine Wahrnehmungen vom Abend des 15. Februar 2020 zu schildern.

Ben Heller erläuterte recht knapp, er sei am Tattag von einer Demonstration anlässlich der Bombardierung Dresdens mit dem Regional-Express vom Dresdner Hauptbahnhof nach Wurzen gefahren. Er befand sich in Begleitung 5 weiterer Kameraden, wobei er drei sehr gut oder gut kannte, die beiden „Brandiser“ aber eher flüchtig.

Am Bahnhof angekommen, stießen die Kameraden am Ende des Bahnsteigs auf eine Gruppe von 15 bis 20 Vermummten, die sie angriff. Heller flüchtete, wurde aber dennoch im Weglaufen auf den Hinterkopf geschlagen und dabei verletzt. Am benachbarten Netto, in Sicherheit angekommen, stellten er und drei weitere Kameraden fest, dass zwei Kameraden, Mathias „Matscher“ Leder und Lucas „Lulu“ Zahner fehlten.

Der Vorsitzende befragte nun den Zeugen, wobei er den Großteil der Geschehnisse mittels Vorhalt des polizeilichen Vernehmungsptotokolls in Erinnerung rief, in weiten Teilen bei der Polizei getätigte Aussagen Hellers rezitierte, sodass dieser lediglich mit einem lakonischen „Ja“ die erwarteten Aussagen zu Protokoll geben konnte.

Eine Personenbeschreibung oder gar ein Wiedererkennen eventueller Verdächtiger war dem Zeugen aufgrund des einheitlichen dunklen Erscheinungsbilds der Angreifer nicht möglich, wobei er ausschließlich von Männern als Täter ausging.

Neben der ausführlichen Erörterung des Tatgeschehens stellte sich die Frage, wie etwaige Täter von der Fahrt der Truppe nach Dresden erfahren haben könnten, relevant in diesem Zusammenhang war, dass Heller am frühen Morgen seinen WhatsApp Status änderte und all seine Kontakte wissen ließ, dass er plane an der Demonstration der Faschisten in Dresden teilzunehmen. Dazu postete er ein Bild von sich, schrieb „Auf nach Dresden“ mit einer schwarzen Fahne und drei Herzen in Schwarz, Weiss und Rot. Schon die vernehmenden Ermittler fragten ihn deshalb nach einer Liste seiner Kontakte, die er bereitwillig zur Verfügung stellte. Durch Fragen der Verteidigung konnte dabei festgestellt werden, dass er sowohl zu den, in anderen Tatkomplexen relevanten Personen Cedric Scholz und Enrico Böhm, Kontakt hat. Letzterer befand sich sogar in eben jenem Zug von Dresden, fuhr aber weiter nach Leipzig.

Interessant wurde die Vernehmung, als Ben Heller im Zusammenhang mit einer, von der Gruppe mitgeführten, Fahne in den Farben schwarz, weiß und rot seine politische Position erläuterte. So erklärte er, dass die Fahne, als eine Reichsfahne, für „das wahre Deutschland“ stehe. Was denn mit dem wahren Deutschland gemeint sei, löste eine kleinere Debatte aus, an deren Ende Heller seine Ideologie als monarchistisch bewertete und angab, er sei ein Befürworter des Kaiserreichs. Auch auf den wiederholten Hinweis, dass sofern er dem Nationsozialismus nahe steht, dies angeben müsse, wich er nicht von seiner Anhängerschaft zur Monarchie ab, wobei er aber auch fände, dass im dritten Reich nicht alles schlecht sei, beispielsweise die Tierschutzgesetze seien dort sehr gut gewesen.

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen stellte sich spätestens, als dieser berichtete, er sei im Sommer 2020 Teilnehmer einer Demonstration des Dritten Wegs in Naumburg gewesen, jedoch lediglich, um sich diese anzuschaun, da er kein Anhänger des (nationalsozialistisch orientierten) dritten Wegs sei. Warum er dann aber sogar mit einem T-Shirt jener Organisation am Marsch teilnahm, beantwortete Heller kleinlaut mit „damit alle einheitlich aussehen“. Ein Verteidiger war durch diese Antwort irritiert, da eine solche Demo ja kein Schönheitswettbewerb sei. Auf die Frage, welche Bekleidung er auf dem Weg von Dresden nach Wurzen trug, antwortete er, er hätte ein Nicki der Band „Die braunen Stadtmusikanten getragen“, welches jedoch durch seine verschlossene Jacke nicht sichtbar gewesen sei.

Als der Zeuge angab, er sei vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall nie in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt worden, wurde die Aussage seines Kameraden Jonas Kaden vorgehalten, in der dieser behauptete: „Ben kloppt sich ständig“. Heller rechtfertigte dies mit seiner Teilnahme am Kampfsporttraining zwischen August 2019 und Februar 2020. Es handele sich dabei um Mann gegen Mann oder manchmal zwei gegen einen Kämpfe, in einer Gruppe von fünf bis zehn Männern. Die Namen der anderen wisse er aber nicht mehr. Wie er sie denn kennengelernt habe, wenn er nicht mal wisse, wer diese Personen denn sind, erklärte Heller damit, dass er im Januar 2019 auf der Straße Menschen angesprochen habe, ob diese denn mal mit ihm Kampfsport ausüben können.

Bevor der Zeuge letztlich unvereidigt entlassen werden konnte, wies die Verteidigung daraufhin, dass Heller einen Gürtel der Marke „Thor Steinar“ und ein Hemd der Firma „Eric & Sons“ trägt, dies verstößt gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des vorsitzenden Richters und der Gürtel mit Runen gebe Anlass zur Befürchtung, auch strafrechtlich relevant zu sein.

Das Gericht kündigte an, dies zu überprüfen, wobei es keine große Motivation zeigte.

Im Anschluss an die Vernehmung wurden, wie schon zuvor, alle Erinnerungslücken des Zeugen im Protokoll durch Verlesung der zeugenschaftliche Vernehmung durch die Polizei geschlossen.

Nach der Mittagspause wurde der zweite Zeuge des Tages vernommen. Mathias Leder, Spitzname Matscher, 37 Jahre alt und Arbeiter in der Kunststoffindustrie war ebenfalls Teil der Gruppe, die am 15. Februar 2020 von der Dresdner Nazidemonstration nach Wurzen zurückkehrte. Er gab an, eigentlich nur Lulu, also Lucas Zahner, sowie Benjamin Schwelnus alias Beni, den Sohn eines Kumpels, zu kennen. Die anderen, zum Teil minderjährigen Begleiter, kannte er nicht und kann sich auch nicht an deren Namen erinnern.

Der Zeuge erzählte, wie er an jenem Tag mit dem Zug in Wurzen ankam, den Zug verließ und Richtung Unterführung auf dem Bahnsteig Gleis 1 ging. Als er seine beiden leeren Bierflaschen im Mülleimer entsorgte, nahm er aus dem Augenwinkel Bewegungen war, sogleich kam eine Gruppe von 10 bis 12 Personen um die Ecke, schlug ihm unvermittelt ins Gesicht, anschließend auf die Stirn, nach einem weiterem Schlag auf den Hinterkopf ging er zu Boden. Dort, so gab er an, sei er weiter getreten worden. Auf einmal sei alles vorbei gewesen, als er sich aufrichten wollte, forderte ihn eine männliche Stimme auf, liegen zu bleiben, was er auch tat. Er konnte noch erkennen, das dem Kameraden Lulu etwa 15 Meter entfernt „seine Tracht Prügel“ zu Teil wurde.

Kurz darauf kam die Gruppe zurück und trat nach Aussage des Zeugens wieder auf ihn ein und verschwand dann durch die Unterführung.

Leder sei sich sicher gewesen, dass der Schlag auf die Stirn und den Hinterkopf von einem Gegenstand ausgeführt wurde, dies habe er zwar nicht gesehen, aber die Platzwunde zeuge davon und auch das Gefühl sei ein anderes als eine Faust gewesen.

Der Vorsitzende Richter befragte auch diesen Zeugen zu Details des Angriffs, beziehungsweise der Fahrt. Hierbei mochte sich Mathias Leder daran erinnern, dass er im Zug entfernt von seinen Kameraden in Fahrtrichtung auf einem Gruppensitzplatz saß. Dort saßen auch einige junge Leute, die ihm auffielen, da sie Kreuzworträtsel lösten und zu dem alte Tastenhandys bedienten.

Das Gericht legte dem Zeugen zudem einige Bilder vom Wurzener Bahnhof vor, anhand dieser er erklärte, wo er auf die Angreifenden getroffen sei und wie genau der Angriff vonstatten ging.

Weiter erzählte der Zeuge, dass die Fahrt zur Demonstration nach Dresden eigentlich nur „eine Schnappsidee“ von Lulu gewesen sei, allerdings schon im Januar, also etliche Wochen vorher, geplant wurde. Dies Widerspricht der unglaubwürdigen Aussage Ben Hellers, der behauptete, es handelte sich um eine spontane Entscheidung wenige Tage vorher.

Mathias Leder wurde nach dem Überfall von der Polizei vernommen, die ihn anrief und dann gegen 23 Uhr zu Hause abholte, ihn nach Ende der Vernehmung dann um 3 Uhr am Morgen wieder zurück fuhr. Eine zweite Vernehmung fand nach Aussage des Zeugens Anfang 2021 statt, diese sei ebenfalls in der Polizeiwache Wurzen erfolgt.

Die Verteidigung insistierte, dass ihr lediglich eine Vernehmung vorliege, in Anbetracht der erfolgten Akteneinsichtgesuche in den ersten beiden Prozesstagen kommt es einem Skandal gleich, dass sich jene zweite Vernehmung nicht in den Akten findet.

Staatsanwältin der Bundesanwaltschaft Alexandra Geilhorn erklärte, nachdem sie der Vorsitzende beiläufig um Bestätigung seiner Theorie, die Vernehmung hätte keinen Wert für das hiesige Verfahren bat, sie hätte diese Vernehmung auch nicht in Auftrag gegeben.

Diese Auseinandersetzung sorgte dafür, dass der Zeuge letztlich nur für den Tag entlassen werden konnte, aber ein weiteres mal geladen werden muss.

Nebenklagevertreter Martin Kohlmann grätschte in diese Diskussion rein und verlangte auch eine Frage an den Zeugen stellen zu dürfen, sodann bat er den Zeugen um Mitteilung, falls er jemanden als eine derjenigen Personen wiedererkenne, welche ihm im Zug gegenüber gesessen haben. Dies sei der Fall, Leder zeigte auf einen der Angeklagten, welcher mit Mundschutz im Raum saß. Abgesehen vom fehlenden Beweiswert dieser unsachgemäßen „Gegenüberstellung“ war die Absprache zwischen Zeugen und Kohlmann im Vorfeld mehr als nur deutlich wahrnehmbar.

Nach Verabschiedung des Zeugens und einem kurzen Antrag der Verteidigung zur Bereitstellung einer weiteren Hilfskraft endete der Prozesstag um 17.30 Uhr.

Fortgesetzt wird am 14.10.21 um 9:30 Uhr.