Bericht vom 49. Prozesstag – Donnerstag, 05.05.2022

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Bericht vom 49. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 05.05.22

Am 49. Prozesstag wurden zwei weitere Zeug:innen des MEK Staatsschutz gehört. Im Zuge der Vernehmungen wurden mehrere Lichtbildmappen angeschaut, welche aus den Observationen am 15. und 29. Mai sowie am 9. Juni 2020 stammen. Außerdem führte der Senat eine Wahllichtbildvorlage bezüglich der unbekannten weiblichen Person durch, die auch schon in den letzten Tagen Thema war.


Die erste Zeugin des Tages kam wie auch ihre Kollegen am vorherigen Verhandlungstag in recht aufwändiger Verkleidung. Dabei hatte sie aber weniger Aufwand betrieben als ihre umfassend verkleideten Kollegen. Sie war vor allem stark geschminkt. Abgerundet wurde die Maskerade mit einer blonden Perücke, vermutlich Kontaktlinsen und einem unauffälligen Bürooutfit. Sie wurde der Öffentlichkeit als Personenkennziffer (PKZ) 10 vorgestellt, Alter und Name blieben unklar. 
PKZ 10 war am 10. Juni 2020 ebenfalls zur Gefahrenabwehr im Umfeld des Wohnortes von Brian Engelmann eingesetzt. Das MEK Staatsschutz sollte sicherstellen, dass der Neonazi Engelmann nicht von der angeblichen kriminellen Vereinigung angegriffen würde. Dabei war laut der Schilderung von PKZ 10 auch an diesem Tag nichts auffälliges zu verzeichnen. 

Der Grund, weshalb sie geladen wurde, ist, dass sie an einem Aktenvermerk des KHK Würzbach vom 24.02.2021 mitgearbeitet hatte, in dem es um eine unbekannt gebliebene weibliche Person geht. Diese wird vom LKA als mutmaßliche Späherin der kriminellen Vereinigung angesehen. PKZ 10 soll am 9. Juni 2020 direkten Kontakt mit dieser Person gehabt haben. Auf Fragen des Vorsitzenden Schlüter-Staats schilderte sie den Ablauf dieser Begegnung wie folgt: PKZ 10 habe den Stephaniplatz von der Ecke Frommann- und Breitkopfstraße her betreten. Die unbekannte weibliche Person sei etwa zeitgleich aus der Richtung Crusiusstraße in den Park gelaufen. Sie habe sich aufmerksam umgeschaut und sei dann, nachdem sie PKZ 10 gesehen habe, zielstrebig auf sie zu gekommen, um nach einer Zigarette zu fragen. PKZ 10 habe sich zu dem Zeitpunkt gerade eine Zigarette in den Mund gesteckt und wollte ihr Feuer suchen. Nun hätte sie der uwP eine Zigarette gegeben, ihr Feuer habe sie nicht gefunden, woraufhin die uwP sich in Richtung zweier Bauarbeiter entfernt habe. PKZ 10 hätte noch wahrgenommen, dass die Frau die Bauarbeiter lautstark nach Feuer gefragt habe. Sie selbst hätte aber nicht mehr beobachtet wohin die uwP im Anschluss gegangen sei. Jedenfalls sei die Person aber nie im Bereich der Wohnanschrift von Brian Engelmann gesichtet worden. PKZ 10 habe ihre nun leere Zigarettenschachtel entsorgt und sich in Richtung Breitkopfstraße entfernt. 


Der Grund, warum PKZ 10 überhaupt auf die Person, die als 25-30 Jahre alte mittelgroße Frau mit mittellangen, mittelbraunen Haaren beschrieben wurde, aufmerksam geworden sei, war, dass eine Person mit Fahrrad, orangenem Pullover und Sonnenbrille bereits von Kolleg:innen in ihrer Observationseinheit gemeldet worden war. Zu der Begegnung im Park habe sie selber keinerlei Notizen gemacht, sie habe lediglich den Ablauf der Begegnung über Kommunikationsmittel weiter gegeben. Im Anschluss an den Einsatz seien ihr dann Fotos vorgelegt worden, mit der Frage, ob es eine der Angeklagten gewesen sein könnte. Erst sehr viel später, im Februar 2021, wurde dann durch die Zeugin eine Niederschrift der Begegnung durchgeführt und in einen Aktenvermerk des KHK Würzbach übernommen. In diesem wurde die Frau als hibbelig und nervös geschildert. Sie habe auf einem Kaugummi auffällig herum gekaut und habe in dem Moment, als sie die zivile Beamtin angesprochen habe, versucht in deren Tasche zu blicken. Weiterhin hätte sie nicht genügend Abstand eingehalten. Dieser sei zwar noch nicht so gewesen, dass die Zeugin das als unangenehm empfunden hätte, aber doch irgendwie zu nah. Wie sie die genauen Uhrzeiten der Begegnung nach einem halben Jahr in den Vermerk einfließen lassen konnte, wollte oder konnte sie nicht beantworten: entweder habe sie jemanden gefragt oder aber im Computer nachgeschaut. In jedem Fall seien die Zeiten aber nicht von ihr gekommen, sondern seien ihr durch unbekannte Kanäle mitgeteilt worden.


Während der Vernehmung führte der Senat zwei Wahllichtbildvorlagen durch. Dabei handelte es sich um jeweils 9 Bilder, von denen 8 in beiden Lichtbildvorlagen die gleichen waren und nur ein Bild sich von den anderen Unterschied. Auf genau jene Bilder legte sich die Zeugin dann mit 75% Wahrscheinlichkeit fest. Die Verteidigung legte gegen diese Art der Vorlage Widerspruch ein. 
Anschließend wurden der Zeugin noch Bilder aus dem Einsatzgeschehen vorgelegt, welche in sehr schlechter Qualität eine auf einer Treppe sitzende Person mit einem orangenen Pullover und einer hochgeschobenen Sonnenbrille und ein angeblich zur Person gehöriges Fahrrad zeigen. Im Anschluss an die Vernehmung wurden noch weitere Lichtbildmappen aus den Selbstlesekonvoluten angesehen. Zum einen handelte es sich um Bilder unbekannter Personen aus dem Herderpark in Leipzig-Connewitz, die dort am 3. Juni 2020 gesessen haben sollen. Die Verteidigung monierte hier, dass der Zusammenhang zum und die Relevanz im Verfahren vollkommen unklar seien. Der Vorsitzende Schlüter-Staats stimmte dem tatsächlich teilweise zu. Weiterhin wurden Lichtbilder aus den Observationen im Mai und Juni 2020 eingeführt, welche die Beschuldigten und weitere Personen zeigen sollen. Auf diesen Bildern ist nach einem Aktenvermerk des KK Starick eine Person zu sehen, bei der es sich um die unbekannte weibliche Person vom 9. Juni handeln soll. Die Verteidigung legte erneut Widerspruch gegen die Verwertung der Observationserkenntnisse ein. Die Observation nach dem 20. Mai ist mit einem Beschluss des Amtsgericht Mainingen abgesegnet worden, ohne, dass die zuständige Richterin die Aktenlage erneut geprüft habe. Der eigentliche Grund für die ursprüngliche Observation vor dem 20. Mai war bereits entfallen, die Richterin hat diesen Umstand außer Acht gelassen.

Als nächster Programmpunkt des Tages wurde ein weiterer Zeuge aus dem MEK Staatsschutz gehört. Auch er trat mit Rechtsanwalt Hirschmann und in Verkleidung auf. Vorgestellt wurde er als PKZ 25 des LKA Sachsen. Grund für seine Vernehmung war, dass er am 8. Juni 2020 vor der Wohnanschrift einer Angeklagten beauftragt war, Videotechnik zu installieren. Dabei habe er zufällig die Angeklagte und eine später als ein anderer Angeklagter identifizierte Person beobachtet, wie sie gemeinsam die Wohnung betreten hätten. Zur verbauten Videotechnik machte der Zeuge mit Verweis auf seine Aussagegenehmigung wie im Prozess üblich nur spärliche Angaben. Er habe alle Technik, die er brauchte, neu mitgebracht. Gleichzeitig reagierte er aber ausweichend auf die Frage des Vorsitzenden, ob er denn alles, was er brauchte, neu mitgebracht habe, und nicht nur die Technik. Dem Blickwinkel der später gezeigten Bilder nach lässt sich mutmaßen, dass der Standort für die Kameratechnik, mutmaßlich ein Auto, schon zuvor vor Ort war. Die Technik sei dann ab dem späten Nachmittag des 8. Juni im Einsatz gewesen. Sie zeichne durchgehend auf und alles werde aufgezeichnet. 


Noch während er die Technik vor Ort einstellte, seien dann die beiden nun Angeklagten mit Fahrrädern angekommen, hätten beim Aufschließen der Wohnung kurz vor der Tür verweilt und seien dann in das Haus gegangen. Bis auf die mitgeführten Räder habe er keine Erinnerung mehr an das Aussehen der Personen. Die Verteidigung interessierte in diesem Zusammenhang besonders die Frage, wie der zweite Angeklagte vom Zeugen identifiziert worden sei. Der Angeklagte war dem PKZ 25 zuvor nicht als zu observierende Person gezeigt worden. Der Zeuge gab nun an, dass er den Angeklagten bereits im Berliner Verfahren auf Bildern gezeigt bekommen und gesehen habe und darum hätte identifizieren können. Das BKA setzte dort Beamte aus Sachsen als Amtshilfe ein, um die dortigen Beschuldigten zu observieren, PKZ 25 sei dabei gewesen. Außerdem hätte er sich im Anschluss noch in Leipzig das aufgezeichnete Videomaterial direkt anschauen können, um sicher zu gehen. Wohl auf der Rückfahrt nach Dresden habe er dann seinen Vorgesetzten über seine Beobachtung in Kenntnis gesetzt. Routinemäßig sei der Vorgang dann in den nächsten Tagen nachbesprochen und dokumentiert worden. Die Verteidigung versuchte nun heraus zu finden, wer im LKA für die Speicherung des später abhanden gekommenen Videomaterials zuständig sei. Der Zeuge meinte, dafür gebe es eine eigene technische Einheit. Er selber sei in diesem Fall nur dieses eine Mal mit der Videotechnik betraut gewesen. Der Zeuge wurde schon nach kurzer Befragung wieder entlassen und es schloss sich eine kurze Diskussion über die Bewertung der bisherigen Erkenntnisse im Tatkomplex Engelmann an.

Die Verteidigerin Weyers wollte vom Vorsitzenden wissen, wie er die Situation am 8. bis 10. Juni 2020 bezüglich der Gefahrenlage für Brian Engelmann einschätze. Der Vorsitzende sagte daraufhin, dass er sicher sei, dass an den Tagen dort niemand „hinter der Tonne“ gelauert habe, um Engelmann anzugreifen. Seiner Meinung nach sei keine Gefährdungslage festzustellen. Die Oberstaatsanwältin bei der Bundesanwaltschaft Geilhorn reagierte auf die selbe Frage an sie sehr gereizt. Ja auch sie sei sicher, dass dort niemand hinter der Tonne gelegen habe. Offensichtlich will sie aber weiterhin eine konkrete Gefährdungslage ausgehend von den Beobachtungen der Observationseinheit zur Gefahrenabwehr und der Sichtung der heute Beschuldigten im Leipziger Stadtgebiet erkennen. Die Verteidigung von Lina kündigte anschließend an, entlastende Unterlagen für den 8. Juni 2020 zum nächsten Verhandlungstag einzureichen.                                    

Der Senat gab am 49. Verhandlungstag bekannt, dass er eine Verlängerung der Termine bis Mitte August anstrebe, weiterhin jeweils Mittwoch und Donnerstag. Sommerferien sollten die Verfahrensbeteiligten im Anschluss daran planen. Kurz vor Schluss entwickelte sich eine Diskussion darum, ob die Bundesanwaltschaft alle ihr vorliegenden Informationen rund um das Alibi des Berliner Angeklagten vorgelegt habe. Angesichts der bisherigen Unterschlagung von Beweismaterial, sagte der Verteidiger Aufurth, habe er kein Vertrauen in die Vollständigkeit der Angaben von Frau Geilhorn. Er regte darum das Gericht zur nochmaligen Nachfrage an. Der Vorsitzende Schlüter-Staats war allerdings bereits wieder mit einem Fuß im Feierabend und bestand deshalb darauf, die Sitzung zügig zu schließen.

Der nächste Prozesstag findet am 11. Mai 2022 um 9:30 Uhr am OLG Dresden statt.